viehisch, daß sie alle Menschlich sind? Wo hat man denn einen Menschen entdekt, der ganz zu Künsten und Wissenschaften ungeschikt wäre, und war das ein Wunder? Oder nicht eben die ge- meinste Sache, weil er Mensch war? "Alle "Mißionarien haben mit den wildesten Völkern "reden und sie überzeugen können: das konnte "ohne Schlüsse und Gründe nicht geschehen: ihre "Sprachen mußten also Terminos abstractos ent- "halten u. s. w." und wenn das, so wars gött- liche Ordnung? Oder war es nicht eben die mensch- lichste Sache, sich Worte zu abstrahiren, wo man sie brauchte? Und welches Volk hat je eine einzige Abstraktion in seiner Sprache gehabt, die es sich nicht selbst erworben? Und waren denn bei allen Völkern gleichviel? Konnten die Mißionarien sich überall gleich leicht ausdrücken, oder hat man nicht das Gegentheil aus allen Welttheilen gelesen? Und wie drukten sie sich denn aus, als daß sie ihre neuen Begriffe der Sprache nach Analogie derselben anbogen? Und geschahe dies überall auf gleiche Art? -- Ueber das Faktum wäre so viel, so viel zu sagen! der Schluß sagt gar das Gegen-
theil.
viehiſch, daß ſie alle Menſchlich ſind? Wo hat man denn einen Menſchen entdekt, der ganz zu Kuͤnſten und Wiſſenſchaften ungeſchikt waͤre, und war das ein Wunder? Oder nicht eben die ge- meinſte Sache, weil er Menſch war? „Alle „Mißionarien haben mit den wildeſten Voͤlkern „reden und ſie uͤberzeugen koͤnnen: das konnte „ohne Schluͤſſe und Gruͤnde nicht geſchehen: ihre „Sprachen mußten alſo Terminos abſtractos ent- „halten u. ſ. w.„ und wenn das, ſo wars goͤtt- liche Ordnung? Oder war es nicht eben die menſch- lichſte Sache, ſich Worte zu abſtrahiren, wo man ſie brauchte? Und welches Volk hat je eine einzige Abſtraktion in ſeiner Sprache gehabt, die es ſich nicht ſelbſt erworben? Und waren denn bei allen Voͤlkern gleichviel? Konnten die Mißionarien ſich uͤberall gleich leicht ausdruͤcken, oder hat man nicht das Gegentheil aus allen Welttheilen geleſen? Und wie drukten ſie ſich denn aus, als daß ſie ihre neuen Begriffe der Sprache nach Analogie derſelben anbogen? Und geſchahe dies uͤberall auf gleiche Art? — Ueber das Faktum waͤre ſo viel, ſo viel zu ſagen! der Schluß ſagt gar das Gegen-
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viehiſch, daß ſie alle Menſchlich ſind? Wo hat
man denn einen Menſchen entdekt, der ganz zu
Kuͤnſten und Wiſſenſchaften ungeſchikt waͤre, und
war das ein Wunder? Oder nicht eben die ge-
meinſte Sache, weil er Menſch war? „Alle
„Mißionarien haben mit den wildeſten Voͤlkern
„reden und ſie uͤberzeugen koͤnnen: das konnte
„ohne Schluͤſſe und Gruͤnde nicht geſchehen: ihre
„Sprachen mußten alſo Terminos abſtractos ent-
„halten u. ſ. w.„ und wenn das, ſo wars goͤtt-
liche Ordnung? Oder war es nicht eben die menſch-
lichſte Sache, ſich Worte zu abſtrahiren, wo man
ſie brauchte? Und welches Volk hat je eine einzige
Abſtraktion in ſeiner Sprache gehabt, die es ſich
nicht ſelbſt erworben? Und waren denn bei allen
Voͤlkern gleichviel? Konnten die Mißionarien ſich
uͤberall gleich leicht ausdruͤcken, oder hat man
nicht das Gegentheil aus allen Welttheilen geleſen?
Und wie drukten ſie ſich denn aus, als daß ſie
ihre neuen Begriffe der Sprache nach Analogie
derſelben anbogen? Und geſchahe dies uͤberall auf
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/134>, abgerufen am 11.02.2025.
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