Abweichung vom Gleichmuthe nämlich kann nach zwey Sei- ten geschehen, entweder es ist zu wenig oder zu vieles im Bewußtseyn
gegenwärtig. Zur ersten Klasse gehören Schreck, Traurigkeit, Furcht, zur zweyten
Freude und Zorn.
106. Die Affecten sind nicht bloß ein psychologischer, sondern auch ein
physiologischer Gegenstand. Denn sie wir- ken auf den Leib mit merklicher, oft
gefährlicher Gewalt, und machen eben dadurch rückwärts wiederum den Geist vom Leibe abhängig, theils von der Dauer des leiblichen Zustandes (der nicht so
schnell aufhört, wie das Gemüth für sich allein zur Ruhe kommen würde), theils
von der Disposition des Leibes zur Nachgiebigkeit gegen den Affect So sind
Muth und Furchtsamkeit offenbar sehr abhängig von Gesundheit und
Kränklichkeit.
Merkwürdig ist noch der Umstand, daß den verschiede- nen Affecten verschiedene
leibliche Zustände zugehören. So treibt die Schaam das Blut in die Wangen, die
Furcht macht erblassen, der Zorn und die Verzweiflung vermehren die
Muskelstärke, u. s. w.
Hieraus sieht man nun, daß es unstatthaft seyn wür- de, die sämmtlichen
möglichen Affecten nach einem bloß psy- chologischen Princip aufzählen und
unterscheiden zu wollen.
Anmerkung. Ohne hier schon die Lehre von der Verbindung
zwischen Leib und Seele naturphilosophisch vor- zutragen, können wir sogleich die
beyden vorstehenden Be- merkungen weiter benutzen.
1) Jede allmählige Aufregung eines Systems durch ein
anderes wirkt dergestalt zurück, daß von Seiten des aufgeregten die Unruhe in
dem aufregenden verlängert wird. Nicht bloß der Leib überhaupt versetzt, nachdem
er im Affect aufgeregt wurde, hintennach den Geist in eine längere Unruhe:
sondern dies muß in den verschie- denen Systemen des Organismus sich eben so
verhalten.
Abweichung vom Gleichmuthe nämlich kann nach zwey Sei- ten geschehen, entweder es ist zu wenig oder zu vieles im Bewußtseyn
gegenwärtig. Zur ersten Klasse gehören Schreck, Traurigkeit, Furcht, zur zweyten
Freude und Zorn.
106. Die Affecten sind nicht bloß ein psychologischer, sondern auch ein
physiologischer Gegenstand. Denn sie wir- ken auf den Leib mit merklicher, oft
gefährlicher Gewalt, und machen eben dadurch rückwärts wiederum den Geist vom Leibe abhängig, theils von der Dauer des leiblichen Zustandes (der nicht so
schnell aufhört, wie das Gemüth für sich allein zur Ruhe kommen würde), theils
von der Disposition des Leibes zur Nachgiebigkeit gegen den Affect So sind
Muth und Furchtsamkeit offenbar sehr abhängig von Gesundheit und
Kränklichkeit.
Merkwürdig ist noch der Umstand, daß den verschiede- nen Affecten verschiedene
leibliche Zustände zugehören. So treibt die Schaam das Blut in die Wangen, die
Furcht macht erblassen, der Zorn und die Verzweiflung vermehren die
Muskelstärke, u. s. w.
Hieraus sieht man nun, daß es unstatthaft seyn wür- de, die sämmtlichen
möglichen Affecten nach einem bloß psy- chologischen Princip aufzählen und
unterscheiden zu wollen.
Anmerkung. Ohne hier schon die Lehre von der Verbindung
zwischen Leib und Seele naturphilosophisch vor- zutragen, können wir sogleich die
beyden vorstehenden Be- merkungen weiter benutzen.
1) Jede allmählige Aufregung eines Systems durch ein
anderes wirkt dergestalt zurück, daß von Seiten des aufgeregten die Unruhe in
dem aufregenden verlängert wird. Nicht bloß der Leib überhaupt versetzt, nachdem
er im Affect aufgeregt wurde, hintennach den Geist in eine längere Unruhe:
sondern dies muß in den verschie- denen Systemen des Organismus sich eben so
verhalten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0091"n="83"/>
Abweichung vom Gleichmuthe nämlich kann nach zwey Sei-<lb/>
ten geschehen, entweder es ist zu wenig oder zu vieles im<lb/>
Bewußtseyn
gegenwärtig. Zur ersten Klasse gehören Schreck,<lb/>
Traurigkeit, Furcht, zur zweyten
Freude und Zorn.</p><lb/><p>106. Die Affecten sind nicht bloß ein psychologischer,<lb/>
sondern auch ein
physiologischer Gegenstand. Denn sie wir-<lb/>
ken auf den Leib mit merklicher, oft
gefährlicher Gewalt,<lb/>
und machen eben dadurch rückwärts wiederum den Geist<lb/>
vom Leibe abhängig, theils von der Dauer des leiblichen<lb/>
Zustandes (der nicht so
schnell aufhört, wie das Gemüth<lb/>
für sich allein zur Ruhe kommen würde), theils
von der<lb/>
Disposition des Leibes zur Nachgiebigkeit gegen den Affect<lb/>
So sind
Muth und Furchtsamkeit offenbar sehr abhängig<lb/>
von Gesundheit und
Kränklichkeit.</p><lb/><p>Merkwürdig ist noch der Umstand, daß den verschiede-<lb/>
nen Affecten verschiedene
leibliche Zustände zugehören. So<lb/>
treibt die Schaam das Blut in die Wangen, die
Furcht<lb/>
macht erblassen, der Zorn und die Verzweiflung vermehren<lb/>
die
Muskelstärke, <hirendition="#g">u. s. w.</hi></p><lb/><p>Hieraus sieht man nun, daß es unstatthaft seyn wür-<lb/>
de, die sämmtlichen
möglichen Affecten nach einem bloß psy-<lb/>
chologischen Princip aufzählen und
unterscheiden zu wollen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Anmerkung</hi>. Ohne hier schon die Lehre von der<lb/>
Verbindung
zwischen Leib und Seele naturphilosophisch vor-<lb/>
zutragen, können wir sogleich die
beyden vorstehenden Be-<lb/>
merkungen weiter benutzen.</p><lb/><p>1) Jede <hirendition="#g">allmählige</hi> Aufregung eines Systems<lb/>
durch ein
anderes wirkt dergestalt zurück, daß von Seiten<lb/>
des aufgeregten die Unruhe in
dem aufregenden verlängert<lb/>
wird. Nicht bloß der Leib überhaupt versetzt, nachdem<lb/>
er im Affect aufgeregt wurde, hintennach den Geist in<lb/>
eine längere Unruhe:
sondern dies muß in den verschie-<lb/>
denen Systemen des Organismus sich eben so
verhalten.
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[83/0091]
Abweichung vom Gleichmuthe nämlich kann nach zwey Sei-
ten geschehen, entweder es ist zu wenig oder zu vieles im
Bewußtseyn gegenwärtig. Zur ersten Klasse gehören Schreck,
Traurigkeit, Furcht, zur zweyten Freude und Zorn.
106. Die Affecten sind nicht bloß ein psychologischer,
sondern auch ein physiologischer Gegenstand. Denn sie wir-
ken auf den Leib mit merklicher, oft gefährlicher Gewalt,
und machen eben dadurch rückwärts wiederum den Geist
vom Leibe abhängig, theils von der Dauer des leiblichen
Zustandes (der nicht so schnell aufhört, wie das Gemüth
für sich allein zur Ruhe kommen würde), theils von der
Disposition des Leibes zur Nachgiebigkeit gegen den Affect
So sind Muth und Furchtsamkeit offenbar sehr abhängig
von Gesundheit und Kränklichkeit.
Merkwürdig ist noch der Umstand, daß den verschiede-
nen Affecten verschiedene leibliche Zustände zugehören. So
treibt die Schaam das Blut in die Wangen, die Furcht
macht erblassen, der Zorn und die Verzweiflung vermehren
die Muskelstärke, u. s. w.
Hieraus sieht man nun, daß es unstatthaft seyn wür-
de, die sämmtlichen möglichen Affecten nach einem bloß psy-
chologischen Princip aufzählen und unterscheiden zu wollen.
Anmerkung. Ohne hier schon die Lehre von der
Verbindung zwischen Leib und Seele naturphilosophisch vor-
zutragen, können wir sogleich die beyden vorstehenden Be-
merkungen weiter benutzen.
1) Jede allmählige Aufregung eines Systems
durch ein anderes wirkt dergestalt zurück, daß von Seiten
des aufgeregten die Unruhe in dem aufregenden verlängert
wird. Nicht bloß der Leib überhaupt versetzt, nachdem
er im Affect aufgeregt wurde, hintennach den Geist in
eine längere Unruhe: sondern dies muß in den verschie-
denen Systemen des Organismus sich eben so verhalten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/91>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.