Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.Gesetzt drittens, jenes geistige Können oder Vermögen
Dem Menschen, welcher zu höhern Bildungsstufen em- Gesetzt drittens, jenes geistige Können oder Vermögen
Dem Menschen, welcher zu höhern Bildungsstufen em- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0056" n="48"/> Gesetzt drittens, jenes geistige Können oder Vermögen<lb/> werde als ein unterworfenes angesehn, — möge dies nun<lb/> ein dienstbares oder ein besiegtes seyn sollen, so paßt zwar<lb/> dieser Begriff nicht allgemein auf die Thiere; wohl aber<lb/> auf das untere Vermögen des Menschen in so sern, als er<lb/> sich selbst beherrscht. Nur ist wiederum die Herrschaft so<lb/> sehr abhängig von der schon erlangten Bildungsstufe, —<lb/> sie schwankt der Art nach fo sehr zwischen Schlauheit und<lb/> Sittlichkeit, dem Grade nach ist ihrer der rohe und der<lb/> kranke Mensch so wenig fähig, — endlich finden sich, wenn<lb/> Ausnahmen gelten sollen, doch bey dressirten Thieren so<lb/> viele Spuren von eingeübter Enthaltsamkeit, daß ein in dem<lb/> geistigen Vermögen selbst liegender Unterschied, der wesent-<lb/> lich und allgemein veststünde, nicht nachgewiesen werden<lb/> kann, vielmehr Alles auf Unterschiede der Begünstigung oder<lb/> Verhinderung oder erworbener Bildung sich zurückführen läßt.<lb/><hi rendition="#g"> Wir sind demnach weder genöthigt noch berech-<lb/> tigt, den menschlichen Geist als eine Summe<lb/> von zwei specifisch verschiedenen, gleichsam an<lb/> einander gefügten, Vermögen zu betrachten. </hi><lb/> Nur das tritt hervor, daß die geistige Regsamkeit in un-<lb/> endlich mannigfaltigen Formen und Gränzen sich ausprägt,<lb/> nach Verschiedenheit der Vorstellungen, ihrer Verbindungen<lb/> und Hemmungen. Alle diese Betrachtungen sind von der<lb/> Metaphysik unabhängig; die Frage aber, ob, wenn einmal<lb/> die Metaphysik herbeigerufen wird, sie dieselben widerlege<lb/> oder vielmehr bestätige, soll an diesem Orte nicht abgehan-<lb/> delt werden.</p><lb/> <p>Dem Menschen, welcher zu höhern Bildungsstufen em-<lb/> porsteigt, werden wir dagegen erfahrungsmäßig eine nicht<lb/> bloß einfache, sondern vielfach verschiedene Fähigkeit beyle-<lb/> gen müssen, sich in der Selbstbeherrschung gleichsam in meh-<lb/> rere Theile zu spalten, und bald seine Gedanken absichtlich<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [48/0056]
Gesetzt drittens, jenes geistige Können oder Vermögen
werde als ein unterworfenes angesehn, — möge dies nun
ein dienstbares oder ein besiegtes seyn sollen, so paßt zwar
dieser Begriff nicht allgemein auf die Thiere; wohl aber
auf das untere Vermögen des Menschen in so sern, als er
sich selbst beherrscht. Nur ist wiederum die Herrschaft so
sehr abhängig von der schon erlangten Bildungsstufe, —
sie schwankt der Art nach fo sehr zwischen Schlauheit und
Sittlichkeit, dem Grade nach ist ihrer der rohe und der
kranke Mensch so wenig fähig, — endlich finden sich, wenn
Ausnahmen gelten sollen, doch bey dressirten Thieren so
viele Spuren von eingeübter Enthaltsamkeit, daß ein in dem
geistigen Vermögen selbst liegender Unterschied, der wesent-
lich und allgemein veststünde, nicht nachgewiesen werden
kann, vielmehr Alles auf Unterschiede der Begünstigung oder
Verhinderung oder erworbener Bildung sich zurückführen läßt.
Wir sind demnach weder genöthigt noch berech-
tigt, den menschlichen Geist als eine Summe
von zwei specifisch verschiedenen, gleichsam an
einander gefügten, Vermögen zu betrachten.
Nur das tritt hervor, daß die geistige Regsamkeit in un-
endlich mannigfaltigen Formen und Gränzen sich ausprägt,
nach Verschiedenheit der Vorstellungen, ihrer Verbindungen
und Hemmungen. Alle diese Betrachtungen sind von der
Metaphysik unabhängig; die Frage aber, ob, wenn einmal
die Metaphysik herbeigerufen wird, sie dieselben widerlege
oder vielmehr bestätige, soll an diesem Orte nicht abgehan-
delt werden.
Dem Menschen, welcher zu höhern Bildungsstufen em-
porsteigt, werden wir dagegen erfahrungsmäßig eine nicht
bloß einfache, sondern vielfach verschiedene Fähigkeit beyle-
gen müssen, sich in der Selbstbeherrschung gleichsam in meh-
rere Theile zu spalten, und bald seine Gedanken absichtlich
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