Gesetzt drittens, jenes geistige Können oder Vermögen
werde als ein unterworfenes angesehn, -- möge dies nun ein dienstbares oder
ein besiegtes seyn sollen, so paßt zwar dieser Begriff nicht allgemein auf die
Thiere; wohl aber auf das untere Vermögen des Menschen in so sern, als er sich selbst beherrscht. Nur ist wiederum die Herrschaft so sehr abhängig von der
schon erlangten Bildungsstufe, -- sie schwankt der Art nach fo sehr zwischen
Schlauheit und Sittlichkeit, dem Grade nach ist ihrer der rohe und der kranke Mensch so wenig fähig, -- endlich finden sich, wenn Ausnahmen gelten
sollen, doch bey dressirten Thieren so viele Spuren von eingeübter
Enthaltsamkeit, daß ein in dem geistigen Vermögen selbst liegender Unterschied,
der wesent- lich und allgemein veststünde, nicht nachgewiesen werden kann,
vielmehr Alles auf Unterschiede der Begünstigung oder Verhinderung oder
erworbener Bildung sich zurückführen läßt. Wir sind demnach
weder genöthigt noch berech- tigt, den menschlichen Geist als eine Summe von zwei specifisch verschiedenen, gleichsam an einander gefügten, Vermögen zu
betrachten. Nur das tritt hervor, daß die geistige Regsamkeit in un- endlich mannigfaltigen Formen und Gränzen sich ausprägt, nach Verschiedenheit
der Vorstellungen, ihrer Verbindungen und Hemmungen. Alle diese Betrachtungen
sind von der Metaphysik unabhängig; die Frage aber, ob, wenn einmal die
Metaphysik herbeigerufen wird, sie dieselben widerlege oder vielmehr bestätige,
soll an diesem Orte nicht abgehan- delt werden.
Dem Menschen, welcher zu höhern Bildungsstufen em- porsteigt, werden wir dagegen
erfahrungsmäßig eine nicht bloß einfache, sondern vielfach verschiedene
Fähigkeit beyle- gen müssen, sich in der Selbstbeherrschung gleichsam in
meh- rere Theile zu spalten, und bald seine Gedanken absichtlich
Gesetzt drittens, jenes geistige Können oder Vermögen
werde als ein unterworfenes angesehn, — möge dies nun ein dienstbares oder
ein besiegtes seyn sollen, so paßt zwar dieser Begriff nicht allgemein auf die
Thiere; wohl aber auf das untere Vermögen des Menschen in so sern, als er sich selbst beherrscht. Nur ist wiederum die Herrschaft so sehr abhängig von der
schon erlangten Bildungsstufe, — sie schwankt der Art nach fo sehr zwischen
Schlauheit und Sittlichkeit, dem Grade nach ist ihrer der rohe und der kranke Mensch so wenig fähig, — endlich finden sich, wenn Ausnahmen gelten
sollen, doch bey dressirten Thieren so viele Spuren von eingeübter
Enthaltsamkeit, daß ein in dem geistigen Vermögen selbst liegender Unterschied,
der wesent- lich und allgemein veststünde, nicht nachgewiesen werden kann,
vielmehr Alles auf Unterschiede der Begünstigung oder Verhinderung oder
erworbener Bildung sich zurückführen läßt. Wir sind demnach
weder genöthigt noch berech- tigt, den menschlichen Geist als eine Summe von zwei specifisch verschiedenen, gleichsam an einander gefügten, Vermögen zu
betrachten. Nur das tritt hervor, daß die geistige Regsamkeit in un- endlich mannigfaltigen Formen und Gränzen sich ausprägt, nach Verschiedenheit
der Vorstellungen, ihrer Verbindungen und Hemmungen. Alle diese Betrachtungen
sind von der Metaphysik unabhängig; die Frage aber, ob, wenn einmal die
Metaphysik herbeigerufen wird, sie dieselben widerlege oder vielmehr bestätige,
soll an diesem Orte nicht abgehan- delt werden.
Dem Menschen, welcher zu höhern Bildungsstufen em- porsteigt, werden wir dagegen
erfahrungsmäßig eine nicht bloß einfache, sondern vielfach verschiedene
Fähigkeit beyle- gen müssen, sich in der Selbstbeherrschung gleichsam in
meh- rere Theile zu spalten, und bald seine Gedanken absichtlich
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[48/0056]
Gesetzt drittens, jenes geistige Können oder Vermögen
werde als ein unterworfenes angesehn, — möge dies nun
ein dienstbares oder ein besiegtes seyn sollen, so paßt zwar
dieser Begriff nicht allgemein auf die Thiere; wohl aber
auf das untere Vermögen des Menschen in so sern, als er
sich selbst beherrscht. Nur ist wiederum die Herrschaft so
sehr abhängig von der schon erlangten Bildungsstufe, —
sie schwankt der Art nach fo sehr zwischen Schlauheit und
Sittlichkeit, dem Grade nach ist ihrer der rohe und der
kranke Mensch so wenig fähig, — endlich finden sich, wenn
Ausnahmen gelten sollen, doch bey dressirten Thieren so
viele Spuren von eingeübter Enthaltsamkeit, daß ein in dem
geistigen Vermögen selbst liegender Unterschied, der wesent-
lich und allgemein veststünde, nicht nachgewiesen werden
kann, vielmehr Alles auf Unterschiede der Begünstigung oder
Verhinderung oder erworbener Bildung sich zurückführen läßt.
Wir sind demnach weder genöthigt noch berech-
tigt, den menschlichen Geist als eine Summe
von zwei specifisch verschiedenen, gleichsam an
einander gefügten, Vermögen zu betrachten.
Nur das tritt hervor, daß die geistige Regsamkeit in un-
endlich mannigfaltigen Formen und Gränzen sich ausprägt,
nach Verschiedenheit der Vorstellungen, ihrer Verbindungen
und Hemmungen. Alle diese Betrachtungen sind von der
Metaphysik unabhängig; die Frage aber, ob, wenn einmal
die Metaphysik herbeigerufen wird, sie dieselben widerlege
oder vielmehr bestätige, soll an diesem Orte nicht abgehan-
delt werden.
Dem Menschen, welcher zu höhern Bildungsstufen em-
porsteigt, werden wir dagegen erfahrungsmäßig eine nicht
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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/56>, abgerufen am 27.07.2024.
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