Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

meisten ähnlich sind den fixen Jdeen des ersteren die obje-
ctiven
Leidenschaften, oder diejenigen, welche auf bestimmte
Gegenstände des Begehrens sich richten. Wie man diese
(mit Maaß) eintheilen kann in solche, die auf die eigene
Person, die auf andre Menschen, die auf Sachen gehn: so
auch findet man den Wahnsinn verschieden in Ansehung
der Dbjecte. Dem Stolze entsprechen die eingebildeten
Verwandlungen in Fürsten und Könige, oder gar in Per-
sonen der Gottheit; der Selbstsucht schließt sich an, die
Furcht vor dem Tode, und vor eingebildeten Widersachern
und Verfolgern; die Freyheitssucht erinnert an die Un-
bändigkeit der meisten Wahnsinnigen und an die Nothwen-
digkeit, sie mit Zwang und Auctoritat zu regieren. Liebe,
Haß, Eifersucht gehn häufig in Wahnsinn über. Ehr-
sucht
, die den Verstand verliert, sucht sich durch Aufopfe-
rungen von seltsamer Art bekannt zu machen; und die
Herrschsucht erbaut sich oft genug ihren Thron im Jr-
renhause; die Genußsucht wird zuweilen eines seligen
Unsinns theilhaftig, der mit dem Himmel zu verkehren glaubt;
der Geiz dagegen verliert sich in thörichte Angst vor Ar-
muth und Hunger.

Was die subjectiven Leidenschaften anlangt, --
Lustsucht, Unlustscheu und Leerheitsscheu, nach
Maaß, -- so führen schon die neuen Namen auf die Be-
merkung, daß der gewöhnliche Sprachgebrauch, der dafür
keine Worte darbot, auch die Sachen nicht eigentlich durch
den Ausdruck Leidenschaft zu bezeichnen pflegt. Wo kein
bestimmtes Object, da ist auch keine bestimmte Richtung,
sondern ein schwankender Gemüthszustand, der mit sich selbst
nicht recht einig und eben darum schwach ist, so daß,
wenn die Vernunft ihn nicht bezwingen kann, dies nicht so-
wohl von dem Widerstande herrührt, den sie findet, als
von der Unfähigkeit, auf ihr Geheiß einen vesten Entschluß

meisten ähnlich sind den fixen Jdeen des ersteren die obje-
ctiven
Leidenschaften, oder diejenigen, welche auf bestimmte
Gegenstände des Begehrens sich richten. Wie man diese
(mit Maaß) eintheilen kann in solche, die auf die eigene
Person, die auf andre Menschen, die auf Sachen gehn: so
auch findet man den Wahnsinn verschieden in Ansehung
der Dbjecte. Dem Stolze entsprechen die eingebildeten
Verwandlungen in Fürsten und Könige, oder gar in Per-
sonen der Gottheit; der Selbstsucht schließt sich an, die
Furcht vor dem Tode, und vor eingebildeten Widersachern
und Verfolgern; die Freyheitssucht erinnert an die Un-
bändigkeit der meisten Wahnsinnigen und an die Nothwen-
digkeit, sie mit Zwang und Auctoritat zu regieren. Liebe,
Haß, Eifersucht gehn häufig in Wahnsinn über. Ehr-
sucht
, die den Verstand verliert, sucht sich durch Aufopfe-
rungen von seltsamer Art bekannt zu machen; und die
Herrschsucht erbaut sich oft genug ihren Thron im Jr-
renhause; die Genußsucht wird zuweilen eines seligen
Unsinns theilhaftig, der mit dem Himmel zu verkehren glaubt;
der Geiz dagegen verliert sich in thörichte Angst vor Ar-
muth und Hunger.

Was die subjectiven Leidenschaften anlangt, —
Lustsucht, Unlustscheu und Leerheitsscheu, nach
Maaß, — so führen schon die neuen Namen auf die Be-
merkung, daß der gewöhnliche Sprachgebrauch, der dafür
keine Worte darbot, auch die Sachen nicht eigentlich durch
den Ausdruck Leidenschaft zu bezeichnen pflegt. Wo kein
bestimmtes Object, da ist auch keine bestimmte Richtung,
sondern ein schwankender Gemüthszustand, der mit sich selbst
nicht recht einig und eben darum schwach ist, so daß,
wenn die Vernunft ihn nicht bezwingen kann, dies nicht so-
wohl von dem Widerstande herrührt, den sie findet, als
von der Unfähigkeit, auf ihr Geheiß einen vesten Entschluß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0126" n="118"/>
meisten ähnlich sind den fixen
               Jdeen des ersteren die <hi rendition="#g">obje-<lb/>
ctiven</hi> Leidenschaften, oder
               diejenigen, welche auf bestimmte<lb/>
Gegenstände des Begehrens sich richten. Wie man
               diese<lb/>
(mit <hi rendition="#g">Maaß</hi>) eintheilen kann in solche, die auf die
               eigene<lb/>
Person, die auf andre Menschen, die auf Sachen gehn: so<lb/>
auch findet
               man den Wahnsinn verschieden in Ansehung<lb/>
der Dbjecte. Dem <hi rendition="#g">Stolze</hi> entsprechen die eingebildeten<lb/>
Verwandlungen in Fürsten und
               Könige, oder gar in Per-<lb/>
sonen der Gottheit; der <hi rendition="#g">Selbstsucht</hi> schließt sich an, die<lb/>
Furcht vor dem Tode, und vor
               eingebildeten Widersachern<lb/>
und Verfolgern; die <hi rendition="#g">Freyheitssucht</hi> erinnert an die Un-<lb/>
bändigkeit der meisten Wahnsinnigen
               und an die Nothwen-<lb/>
digkeit, sie mit Zwang und Auctoritat zu regieren. <hi rendition="#g">Liebe</hi>,<lb/><hi rendition="#g">Haß</hi>, <hi rendition="#g">Eifersucht</hi> gehn häufig in
               Wahnsinn über. <hi rendition="#g">Ehr-<lb/>
sucht</hi>, die den Verstand verliert,
               sucht sich durch Aufopfe-<lb/>
rungen von seltsamer Art bekannt zu machen; und die<lb/><hi rendition="#g">Herrschsucht</hi> erbaut sich oft genug ihren Thron im Jr-<lb/>
renhause; die <hi rendition="#g">Genußsucht</hi> wird zuweilen eines seligen<lb/>
Unsinns theilhaftig, der mit dem Himmel zu verkehren glaubt;<lb/>
der <hi rendition="#g">Geiz</hi> dagegen verliert sich in thörichte Angst vor Ar-<lb/>
muth
               und Hunger.</p><lb/>
            <p>Was die <hi rendition="#g">subjectiven</hi> Leidenschaften anlangt, &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">Lustsucht, Unlustscheu</hi> und <hi rendition="#g">Leerheitsscheu</hi>, nach<lb/><hi rendition="#g">Maaß</hi>, &#x2014; so führen schon die neuen Namen auf die Be-<lb/>
merkung, daß der gewöhnliche Sprachgebrauch, der dafür<lb/>
keine Worte darbot, auch
               die Sachen nicht eigentlich durch<lb/>
den Ausdruck <hi rendition="#g">Leidenschaft</hi> zu bezeichnen pflegt. Wo kein<lb/>
bestimmtes Object, da ist
               auch keine bestimmte Richtung,<lb/>
sondern ein schwankender Gemüthszustand, der mit
               sich selbst<lb/>
nicht recht einig und eben darum <hi rendition="#g">schwach</hi> ist, so daß,<lb/>
wenn die Vernunft ihn nicht bezwingen kann, dies nicht so-<lb/>
wohl von dem Widerstande herrührt, den sie findet, als<lb/>
von der Unfähigkeit, auf
               ihr Geheiß einen vesten Entschluß<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0126] meisten ähnlich sind den fixen Jdeen des ersteren die obje- ctiven Leidenschaften, oder diejenigen, welche auf bestimmte Gegenstände des Begehrens sich richten. Wie man diese (mit Maaß) eintheilen kann in solche, die auf die eigene Person, die auf andre Menschen, die auf Sachen gehn: so auch findet man den Wahnsinn verschieden in Ansehung der Dbjecte. Dem Stolze entsprechen die eingebildeten Verwandlungen in Fürsten und Könige, oder gar in Per- sonen der Gottheit; der Selbstsucht schließt sich an, die Furcht vor dem Tode, und vor eingebildeten Widersachern und Verfolgern; die Freyheitssucht erinnert an die Un- bändigkeit der meisten Wahnsinnigen und an die Nothwen- digkeit, sie mit Zwang und Auctoritat zu regieren. Liebe, Haß, Eifersucht gehn häufig in Wahnsinn über. Ehr- sucht, die den Verstand verliert, sucht sich durch Aufopfe- rungen von seltsamer Art bekannt zu machen; und die Herrschsucht erbaut sich oft genug ihren Thron im Jr- renhause; die Genußsucht wird zuweilen eines seligen Unsinns theilhaftig, der mit dem Himmel zu verkehren glaubt; der Geiz dagegen verliert sich in thörichte Angst vor Ar- muth und Hunger. Was die subjectiven Leidenschaften anlangt, — Lustsucht, Unlustscheu und Leerheitsscheu, nach Maaß, — so führen schon die neuen Namen auf die Be- merkung, daß der gewöhnliche Sprachgebrauch, der dafür keine Worte darbot, auch die Sachen nicht eigentlich durch den Ausdruck Leidenschaft zu bezeichnen pflegt. Wo kein bestimmtes Object, da ist auch keine bestimmte Richtung, sondern ein schwankender Gemüthszustand, der mit sich selbst nicht recht einig und eben darum schwach ist, so daß, wenn die Vernunft ihn nicht bezwingen kann, dies nicht so- wohl von dem Widerstande herrührt, den sie findet, als von der Unfähigkeit, auf ihr Geheiß einen vesten Entschluß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/126
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/126>, abgerufen am 25.11.2024.