Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

licher, als bey der entsprechenden Geistes-Zerrüttung. Eine
gewisse Art der Einheit besitzen gleichwohl die Träume,
nämlich Einheit des Gefühls. Einem Traume von
Dieben in der Nacht, wobey die Scene sich plötzlich in
einen Saal verwandelt, der von der Sonne erleuchtet und
von vielen Fremden angefüllt ist, welche zur Erlangung
einer hohen Würde Glück wünschen: einem solchen Traume
sieht man es an, daß er nicht wirklich geträumt, sondern
als psychologisches Beispiel ersonnen ist (vergl. Maaß über
die Leidenschaften, im ersten Theile, S. 171). Dergleichen
Sprünge aus einem peinlichen in einen sehr erwünschten
Zustand werden höchstens dann vorkommen, wann die
körperliche Disposition während des Traums sich plötzlich ändert.

Zu den merkwürdigsten Eigenheiten des Traums und
der verwandten Zustande gehören die Theilungen des Selbst-
bewußtseyns. Der Träumende schreibt oftmals Andern seine
eigenen Gedanken zu, manchmal sich schämend, daß er dies
nicht selbst gewußt oder eingesehen habe. Bey abwechseln-
den Zuständen des Traums und Wachens, der Paroxysmen
und der Jntervalle, giebt es häufig eine doppelte Persön-
lichkeit, ohne diejenige Erinnerung aus einem Zustande in
dem andern, die wir wachend vom Traume zu haben pfle-
gen. Es giebt Beyspiele eines heftigen Schrecks, nach wel-
chem Personen sich fragten, wer bin ich? und durch einen
Zufall wieder an den eigenen Namen, Stand, Beruf, u.
s. w.
mußten erinnert werden.

Der Vergleichung mit den Grundformen der Geistes-
zerrüttungen scheinen sich unter den anomalen Zuständen
allein die, noch zu wenig abgeklärten, Thatsachen des soge-
annten animalischen Magnetismus zu entziehen. Diesel-
ben deuten auf eine veränderte Verbindung zwischen Leib
und Seele, deren vorige Beschaffenheit jedoch sehr schnell
wieder hergestellt werden kann (vergl. unten 121 )


licher, als bey der entsprechenden Geistes-Zerrüttung. Eine
gewisse Art der Einheit besitzen gleichwohl die Träume,
nämlich Einheit des Gefühls. Einem Traume von
Dieben in der Nacht, wobey die Scene sich plötzlich in
einen Saal verwandelt, der von der Sonne erleuchtet und
von vielen Fremden angefüllt ist, welche zur Erlangung
einer hohen Würde Glück wünschen: einem solchen Traume
sieht man es an, daß er nicht wirklich geträumt, sondern
als psychologisches Beispiel ersonnen ist (vergl. Maaß über
die Leidenschaften, im ersten Theile, S. 171). Dergleichen
Sprünge aus einem peinlichen in einen sehr erwünschten
Zustand werden höchstens dann vorkommen, wann die
körperliche Disposition während des Traums sich plötzlich ändert.

Zu den merkwürdigsten Eigenheiten des Traums und
der verwandten Zustande gehören die Theilungen des Selbst-
bewußtseyns. Der Träumende schreibt oftmals Andern seine
eigenen Gedanken zu, manchmal sich schämend, daß er dies
nicht selbst gewußt oder eingesehen habe. Bey abwechseln-
den Zuständen des Traums und Wachens, der Paroxysmen
und der Jntervalle, giebt es häufig eine doppelte Persön-
lichkeit, ohne diejenige Erinnerung aus einem Zustande in
dem andern, die wir wachend vom Traume zu haben pfle-
gen. Es giebt Beyspiele eines heftigen Schrecks, nach wel-
chem Personen sich fragten, wer bin ich? und durch einen
Zufall wieder an den eigenen Namen, Stand, Beruf, u.
s. w.
mußten erinnert werden.

Der Vergleichung mit den Grundformen der Geistes-
zerrüttungen scheinen sich unter den anomalen Zuständen
allein die, noch zu wenig abgeklärten, Thatsachen des soge-
annten animalischen Magnetismus zu entziehen. Diesel-
ben deuten auf eine veränderte Verbindung zwischen Leib
und Seele, deren vorige Beschaffenheit jedoch sehr schnell
wieder hergestellt werden kann (vergl. unten 121 )


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0124" n="116"/>
licher, als bey der entsprechenden Geistes-Zerrüttung.
               Eine<lb/>
gewisse Art der Einheit besitzen gleichwohl die Träume,<lb/>
nämlich <hi rendition="#g">Einheit des Gefühls</hi>. Einem Traume von<lb/>
Dieben in der Nacht,
               wobey die Scene sich plötzlich in<lb/>
einen Saal verwandelt, der von der Sonne
               erleuchtet und<lb/>
von vielen Fremden angefüllt ist, welche zur Erlangung<lb/>
einer hohen Würde Glück wünschen: einem solchen Traume<lb/>
sieht man es an, daß er
               nicht wirklich geträumt, sondern<lb/>
als psychologisches Beispiel ersonnen ist
               (vergl. <hi rendition="#g">Maaß</hi> über<lb/>
die Leidenschaften, im ersten Theile,
               S. 171). Dergleichen<lb/>
Sprünge aus einem peinlichen in einen sehr erwünschten<lb/>
Zustand werden höchstens dann vorkommen, wann die<lb/>
körperliche Disposition
               während des Traums sich plötzlich ändert.</p><lb/>
            <p>Zu den merkwürdigsten Eigenheiten des Traums und<lb/>
der verwandten Zustande
               gehören die Theilungen des Selbst-<lb/>
bewußtseyns. Der Träumende schreibt oftmals
               Andern seine<lb/>
eigenen Gedanken zu, manchmal sich schämend, daß er dies<lb/>
nicht selbst gewußt oder eingesehen habe. Bey abwechseln-<lb/>
den Zuständen des
               Traums und Wachens, der Paroxysmen<lb/>
und der Jntervalle, giebt es häufig eine
               doppelte Persön-<lb/>
lichkeit, ohne diejenige Erinnerung aus einem Zustande in<lb/>
dem andern, die wir wachend vom Traume zu haben pfle-<lb/>
gen. Es giebt Beyspiele
               eines heftigen Schrecks, nach wel-<lb/>
chem Personen sich fragten, <hi rendition="#g">wer bin ich</hi>? und durch einen<lb/>
Zufall wieder an den eigenen Namen, Stand,
               Beruf, <hi rendition="#g">u.<lb/>
s. w.</hi> mußten erinnert werden.</p><lb/>
            <p>Der Vergleichung mit den Grundformen der Geistes-<lb/>
zerrüttungen scheinen sich
               unter den anomalen Zuständen<lb/>
allein die, noch zu wenig abgeklärten, Thatsachen
               des soge-<lb/>
annten animalischen Magnetismus zu entziehen. Diesel-<lb/>
ben deuten
               auf eine veränderte Verbindung zwischen Leib<lb/>
und Seele, deren vorige
               Beschaffenheit jedoch sehr schnell<lb/>
wieder hergestellt werden kann (vergl. unten
               121 )</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0124] licher, als bey der entsprechenden Geistes-Zerrüttung. Eine gewisse Art der Einheit besitzen gleichwohl die Träume, nämlich Einheit des Gefühls. Einem Traume von Dieben in der Nacht, wobey die Scene sich plötzlich in einen Saal verwandelt, der von der Sonne erleuchtet und von vielen Fremden angefüllt ist, welche zur Erlangung einer hohen Würde Glück wünschen: einem solchen Traume sieht man es an, daß er nicht wirklich geträumt, sondern als psychologisches Beispiel ersonnen ist (vergl. Maaß über die Leidenschaften, im ersten Theile, S. 171). Dergleichen Sprünge aus einem peinlichen in einen sehr erwünschten Zustand werden höchstens dann vorkommen, wann die körperliche Disposition während des Traums sich plötzlich ändert. Zu den merkwürdigsten Eigenheiten des Traums und der verwandten Zustande gehören die Theilungen des Selbst- bewußtseyns. Der Träumende schreibt oftmals Andern seine eigenen Gedanken zu, manchmal sich schämend, daß er dies nicht selbst gewußt oder eingesehen habe. Bey abwechseln- den Zuständen des Traums und Wachens, der Paroxysmen und der Jntervalle, giebt es häufig eine doppelte Persön- lichkeit, ohne diejenige Erinnerung aus einem Zustande in dem andern, die wir wachend vom Traume zu haben pfle- gen. Es giebt Beyspiele eines heftigen Schrecks, nach wel- chem Personen sich fragten, wer bin ich? und durch einen Zufall wieder an den eigenen Namen, Stand, Beruf, u. s. w. mußten erinnert werden. Der Vergleichung mit den Grundformen der Geistes- zerrüttungen scheinen sich unter den anomalen Zuständen allein die, noch zu wenig abgeklärten, Thatsachen des soge- annten animalischen Magnetismus zu entziehen. Diesel- ben deuten auf eine veränderte Verbindung zwischen Leib und Seele, deren vorige Beschaffenheit jedoch sehr schnell wieder hergestellt werden kann (vergl. unten 121 )

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/124
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/124>, abgerufen am 18.05.2024.