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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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zugleich cholerisch oder phlegmatisch, und auch das melan-
cholische kann cholerisch seyn oder phlegmatisch. Denkbar
ist, daß Jemand weder sanguinisch noch melancholisch sey,
denn der Nullpunkt liegt zwischen beyden in der Mitte.
Aber undenkbar ist, daß Jemand in Hinsicht des choleri-
schen und phlegmatischen indifferent sey; denn gar keine Er-
regbarkeit der Affecten wäre äußerstes Phlegma; der Null-
punkt liegt hier auf einem der Extreme. Die Mitte ist die
gewöhnliche Erregbarkeit; ein arithmetisches Mittel, das
man ungefähr aus den Erfahrungen herausfindet, so wie
die mittlere Statur des menschlichen Leibes.

Anmerkung. Man kann die Namen der Tempera-
mente auch anders deuten; und wenn der Ausdruck: Cho-
lerisches Temperament
, auf anhaltende Neigung zum
Zorn soll bezogen werden, so paßt das Vorstehende nicht.
Da der Gegenstand nicht rein psychologisch ist, so mag hier
eine physiologische Ansicht Platz finden. Von den drey Fa-
ctoren des thierischen Lebens mag irgend einer durch einen
verborgenen Fehler auf den Geist wirken. Jst die Jrrita-
bilität und Sensibilität unversehrt, und leidet die Vegetation
nur in so fern, als sie ein stetes Unbehagen ins Gemeinge-
fühl hineinbringt: dann mag eine cholerische Bitterkeit ent-
stehn; dergleichen wirklich in seltenen traurigen Fällen schon
an Kindern wahrzunehmen ist. Leidet die Jrritabilität: so
sieht man Gutmüthigkeit und vielleicht Talent, aber ohne
hinreichend kräftiges äußeres Leben. Leidet die Sensibilität
im Allgemeinen: so scheint das von einigen sogenannte
böotische oder Bauerntemperament hervorzugehn. Leidet nur
die Sensibilität des Gehirns verhältnißmäßig, oder deutli-
cher: überwiegt das Gangliensystem: so möchte dies den
Sanguiuicus ergeben. Sind Vegetation und Jrritabilität
zugleich schwach gegen die Sensibilität: so erblicken wir den

zugleich cholerisch oder phlegmatisch, und auch das melan-
cholische kann cholerisch seyn oder phlegmatisch. Denkbar
ist, daß Jemand weder sanguinisch noch melancholisch sey,
denn der Nullpunkt liegt zwischen beyden in der Mitte.
Aber undenkbar ist, daß Jemand in Hinsicht des choleri-
schen und phlegmatischen indifferent sey; denn gar keine Er-
regbarkeit der Affecten wäre äußerstes Phlegma; der Null-
punkt liegt hier auf einem der Extreme. Die Mitte ist die
gewöhnliche Erregbarkeit; ein arithmetisches Mittel, das
man ungefähr aus den Erfahrungen herausfindet, so wie
die mittlere Statur des menschlichen Leibes.

Anmerkung. Man kann die Namen der Tempera-
mente auch anders deuten; und wenn der Ausdruck: Cho-
lerisches Temperament
, auf anhaltende Neigung zum
Zorn soll bezogen werden, so paßt das Vorstehende nicht.
Da der Gegenstand nicht rein psychologisch ist, so mag hier
eine physiologische Ansicht Platz finden. Von den drey Fa-
ctoren des thierischen Lebens mag irgend einer durch einen
verborgenen Fehler auf den Geist wirken. Jst die Jrrita-
bilität und Sensibilität unversehrt, und leidet die Vegetation
nur in so fern, als sie ein stetes Unbehagen ins Gemeinge-
fühl hineinbringt: dann mag eine cholerische Bitterkeit ent-
stehn; dergleichen wirklich in seltenen traurigen Fällen schon
an Kindern wahrzunehmen ist. Leidet die Jrritabilität: so
sieht man Gutmüthigkeit und vielleicht Talent, aber ohne
hinreichend kräftiges äußeres Leben. Leidet die Sensibilität
im Allgemeinen: so scheint das von einigen sogenannte
böotische oder Bauerntemperament hervorzugehn. Leidet nur
die Sensibilität des Gehirns verhältnißmäßig, oder deutli-
cher: überwiegt das Gangliensystem: so möchte dies den
Sanguiuicus ergeben. Sind Vegetation und Jrritabilität
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[104/0112] zugleich cholerisch oder phlegmatisch, und auch das melan- cholische kann cholerisch seyn oder phlegmatisch. Denkbar ist, daß Jemand weder sanguinisch noch melancholisch sey, denn der Nullpunkt liegt zwischen beyden in der Mitte. Aber undenkbar ist, daß Jemand in Hinsicht des choleri- schen und phlegmatischen indifferent sey; denn gar keine Er- regbarkeit der Affecten wäre äußerstes Phlegma; der Null- punkt liegt hier auf einem der Extreme. Die Mitte ist die gewöhnliche Erregbarkeit; ein arithmetisches Mittel, das man ungefähr aus den Erfahrungen herausfindet, so wie die mittlere Statur des menschlichen Leibes. Anmerkung. Man kann die Namen der Tempera- mente auch anders deuten; und wenn der Ausdruck: Cho- lerisches Temperament, auf anhaltende Neigung zum Zorn soll bezogen werden, so paßt das Vorstehende nicht. Da der Gegenstand nicht rein psychologisch ist, so mag hier eine physiologische Ansicht Platz finden. Von den drey Fa- ctoren des thierischen Lebens mag irgend einer durch einen verborgenen Fehler auf den Geist wirken. Jst die Jrrita- bilität und Sensibilität unversehrt, und leidet die Vegetation nur in so fern, als sie ein stetes Unbehagen ins Gemeinge- fühl hineinbringt: dann mag eine cholerische Bitterkeit ent- stehn; dergleichen wirklich in seltenen traurigen Fällen schon an Kindern wahrzunehmen ist. Leidet die Jrritabilität: so sieht man Gutmüthigkeit und vielleicht Talent, aber ohne hinreichend kräftiges äußeres Leben. Leidet die Sensibilität im Allgemeinen: so scheint das von einigen sogenannte böotische oder Bauerntemperament hervorzugehn. Leidet nur die Sensibilität des Gehirns verhältnißmäßig, oder deutli- cher: überwiegt das Gangliensystem: so möchte dies den Sanguiuicus ergeben. Sind Vegetation und Jrritabilität zugleich schwach gegen die Sensibilität: so erblicken wir den

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/112>, abgerufen am 24.11.2024.