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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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der für Andre offen lag; wir brauchen zu dem Ende nur
wenige Schritte auf diesem Wege zu gehn, und wenn er
gleich zunächst nur zu Namen-Erklärungen, und zu
Erläuterungen von nicht grösserem Werthe führt, so
wird doch dadurch gar mancher Irrthum, der späterhin
blenden könnte, im Voraus abgelehnt. Wir versetzen
uns demnach für eine kleine Weile auf den Standpunct
der empirischen Psychologie; um von dort aus die obern
Vermögen zu betrachten.

Beruft man sich auf Erfahrung: so muss man sie in
sinnlicher Klarheit hinstellen; wenige scharfe Züge reichen
zu. Verstand hat der Mann; Unverstand zeigt das Kind
und der Knabe; ihm ähnlich ist der, welcher den Ver-
stand verlor.

Dort schlägt das kleine Mädchen ihre Puppe mit
der Ruthe; denn die Puppe ist unartig! Dort spielen die
kleinen Knaben mit bleyernen Soldaten; die grösseren
tragen selbstgeschnitzte Weidenzweige statt der Degen
an der Seite, einige spielen Pferde; sie haben den Bind-
faden in den Mund genommen, um Zaum und Zügel
vorzustellen. Wenn der Mann das thäte: so würde man
sagen, er habe den Verstand verloren.

Die Scheiterhaufen der Inquisition nennt man nicht
unverständig, sondern vernunftwidrig; denn der
Verstand des Egoismus leuchtet hervor neben der Schwär-
merey; aber diese Art des Cultus ist gerade so vernünf-
tig wie der Dienst des Moloch, in dessen glühende Arme
das Kind von der Mutter geworfen wurde. Auch wer
die Lehren der Astronomie leugnet (um ein rein theo-
retisches Beyspiel anzuführen), ist unvernünftig. Und
nicht minder unvernünftig Jeder, der wissentlich, und un-
berufen, in sein Verderben rennt. Am empörendsten für
die Vernunft ist eine vollendete, vorbedachte Schandthat
eines gleichwohl nicht schändlichen Menschen. Mit Ent-
setzen und Schaudern denke ich an den unglücklichen
Sand. Man fühlt sich zerrissen, wie man seine That

der für Andre offen lag; wir brauchen zu dem Ende nur
wenige Schritte auf diesem Wege zu gehn, und wenn er
gleich zunächst nur zu Namen-Erklärungen, und zu
Erläuterungen von nicht gröſserem Werthe führt, so
wird doch dadurch gar mancher Irrthum, der späterhin
blenden könnte, im Voraus abgelehnt. Wir versetzen
uns demnach für eine kleine Weile auf den Standpunct
der empirischen Psychologie; um von dort aus die obern
Vermögen zu betrachten.

Beruft man sich auf Erfahrung: so muſs man sie in
sinnlicher Klarheit hinstellen; wenige scharfe Züge reichen
zu. Verstand hat der Mann; Unverstand zeigt das Kind
und der Knabe; ihm ähnlich ist der, welcher den Ver-
stand verlor.

Dort schlägt das kleine Mädchen ihre Puppe mit
der Ruthe; denn die Puppe ist unartig! Dort spielen die
kleinen Knaben mit bleyernen Soldaten; die gröſseren
tragen selbstgeschnitzte Weidenzweige statt der Degen
an der Seite, einige spielen Pferde; sie haben den Bind-
faden in den Mund genommen, um Zaum und Zügel
vorzustellen. Wenn der Mann das thäte: so würde man
sagen, er habe den Verstand verloren.

Die Scheiterhaufen der Inquisition nennt man nicht
unverständig, sondern vernunftwidrig; denn der
Verstand des Egoismus leuchtet hervor neben der Schwär-
merey; aber diese Art des Cultus ist gerade so vernünf-
tig wie der Dienst des Moloch, in dessen glühende Arme
das Kind von der Mutter geworfen wurde. Auch wer
die Lehren der Astronomie leugnet (um ein rein theo-
retisches Beyspiel anzuführen), ist unvernünftig. Und
nicht minder unvernünftig Jeder, der wissentlich, und un-
berufen, in sein Verderben rennt. Am empörendsten für
die Vernunft ist eine vollendete, vorbedachte Schandthat
eines gleichwohl nicht schändlichen Menschen. Mit Ent-
setzen und Schaudern denke ich an den unglücklichen
Sand. Man fühlt sich zerrissen, wie man seine That

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[38/0073] der für Andre offen lag; wir brauchen zu dem Ende nur wenige Schritte auf diesem Wege zu gehn, und wenn er gleich zunächst nur zu Namen-Erklärungen, und zu Erläuterungen von nicht gröſserem Werthe führt, so wird doch dadurch gar mancher Irrthum, der späterhin blenden könnte, im Voraus abgelehnt. Wir versetzen uns demnach für eine kleine Weile auf den Standpunct der empirischen Psychologie; um von dort aus die obern Vermögen zu betrachten. Beruft man sich auf Erfahrung: so muſs man sie in sinnlicher Klarheit hinstellen; wenige scharfe Züge reichen zu. Verstand hat der Mann; Unverstand zeigt das Kind und der Knabe; ihm ähnlich ist der, welcher den Ver- stand verlor. Dort schlägt das kleine Mädchen ihre Puppe mit der Ruthe; denn die Puppe ist unartig! Dort spielen die kleinen Knaben mit bleyernen Soldaten; die gröſseren tragen selbstgeschnitzte Weidenzweige statt der Degen an der Seite, einige spielen Pferde; sie haben den Bind- faden in den Mund genommen, um Zaum und Zügel vorzustellen. Wenn der Mann das thäte: so würde man sagen, er habe den Verstand verloren. Die Scheiterhaufen der Inquisition nennt man nicht unverständig, sondern vernunftwidrig; denn der Verstand des Egoismus leuchtet hervor neben der Schwär- merey; aber diese Art des Cultus ist gerade so vernünf- tig wie der Dienst des Moloch, in dessen glühende Arme das Kind von der Mutter geworfen wurde. Auch wer die Lehren der Astronomie leugnet (um ein rein theo- retisches Beyspiel anzuführen), ist unvernünftig. Und nicht minder unvernünftig Jeder, der wissentlich, und un- berufen, in sein Verderben rennt. Am empörendsten für die Vernunft ist eine vollendete, vorbedachte Schandthat eines gleichwohl nicht schändlichen Menschen. Mit Ent- setzen und Schaudern denke ich an den unglücklichen Sand. Man fühlt sich zerrissen, wie man seine That

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/73>, abgerufen am 25.11.2024.