Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

eben solches vordringendes Streben eigen, wie den Vor-
stellungen; aber theils will er nicht allein vordringen,
sondern in Verbindung mit Anderen, die ihm nahe stehn, --
theils, was hier die Hauptsache ist, richtet sich sein
Streben dergestalt auf das Gesammtwirken Aller, welche
mit ihm in Verbindung stehn, dass er selbst zurücktritt,
wenn an den Andern die Reihe ist, sich hervorzuthun.
Man könnte in Versuchung gerathen, darin eine Aeusse-
rung der Moralität zu suchen; allein dies Zurücktreten
ist nichts mehr als das Pausiren des Musikers, welcher
voraussetzt und will, dass die übrigen Stimmen fortfah-
ren, damit das Tonstück, was ihm vorschwebt, vollstän-
dig, im rechten Tacte und Vortrage, herauskomme.
Weder in dem Musiker, noch in dem Staatsbürger, könnte
ein solches Streben seyn, wäre es nicht zuvor, nach den,
im ersten Theile entwickelten, mathematisch-psychologi-
schen Gesetzen, in den Vorstellungen begründet. Denn
der Musiker spielt seine Noten in solcher Ordnung, sol-
chem Rhythmus, wie er sich die Töne denkt; sein Vor-
trag ist der unmittelbare Ausdruck des Strebens in sei-
nen Vorstellungen. Der Bürger fühlt sich auf gleiche
Weise getrieben zum regelmässigen Handeln mit Andern,
und in Uebereinstimmung mit Andern; dergestalt, dass,
wenn sie säumten, er sie ermahnen würde, das Ihrige zu
thun; darum, weil für ihn in dem Gedanken seines eignen
Thuns schon das dazu gehörige Thun der ihm nahe
Stehenden mit inbegriffen, mit einbedungen ist. Der Lauf
seiner Vorstellungen wird aufgehalten, das darin wirk-
same Streben erleidet eine Hemmung
, wofern
er seine Nächsten nicht vollführen sieht, was ihnen
zukommt.

Was nun hier, als ob es die Wirkung eines Na-
turtriebes wäre, vor Augen liegt, das muss erklärt und
begriffen werden aus jenen Gesetzen der Mechanik des
Geistes.

Die Kraft der Ordnung im Staate ist nun die
Gesammtkraft aus allen den einzelnen Kräften, welche

eben solches vordringendes Streben eigen, wie den Vor-
stellungen; aber theils will er nicht allein vordringen,
sondern in Verbindung mit Anderen, die ihm nahe stehn, —
theils, was hier die Hauptsache ist, richtet sich sein
Streben dergestalt auf das Gesammtwirken Aller, welche
mit ihm in Verbindung stehn, daſs er selbst zurücktritt,
wenn an den Andern die Reihe ist, sich hervorzuthun.
Man könnte in Versuchung gerathen, darin eine Aeuſse-
rung der Moralität zu suchen; allein dies Zurücktreten
ist nichts mehr als das Pausiren des Musikers, welcher
voraussetzt und will, daſs die übrigen Stimmen fortfah-
ren, damit das Tonstück, was ihm vorschwebt, vollstän-
dig, im rechten Tacte und Vortrage, herauskomme.
Weder in dem Musiker, noch in dem Staatsbürger, könnte
ein solches Streben seyn, wäre es nicht zuvor, nach den,
im ersten Theile entwickelten, mathematisch-psychologi-
schen Gesetzen, in den Vorstellungen begründet. Denn
der Musiker spielt seine Noten in solcher Ordnung, sol-
chem Rhythmus, wie er sich die Töne denkt; sein Vor-
trag ist der unmittelbare Ausdruck des Strebens in sei-
nen Vorstellungen. Der Bürger fühlt sich auf gleiche
Weise getrieben zum regelmäſsigen Handeln mit Andern,
und in Uebereinstimmung mit Andern; dergestalt, daſs,
wenn sie säumten, er sie ermahnen würde, das Ihrige zu
thun; darum, weil für ihn in dem Gedanken seines eignen
Thuns schon das dazu gehörige Thun der ihm nahe
Stehenden mit inbegriffen, mit einbedungen ist. Der Lauf
seiner Vorstellungen wird aufgehalten, das darin wirk-
same Streben erleidet eine Hemmung
, wofern
er seine Nächsten nicht vollführen sieht, was ihnen
zukommt.

Was nun hier, als ob es die Wirkung eines Na-
turtriebes wäre, vor Augen liegt, das muſs erklärt und
begriffen werden aus jenen Gesetzen der Mechanik des
Geistes.

Die Kraft der Ordnung im Staate ist nun die
Gesammtkraft aus allen den einzelnen Kräften, welche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="31"/>
eben solches vordringendes Streben eigen, wie den Vor-<lb/>
stellungen; aber theils will er nicht <hi rendition="#g">allein</hi> vordringen,<lb/>
sondern in Verbindung mit Anderen, die ihm nahe stehn, &#x2014;<lb/>
theils, was hier die Hauptsache ist, richtet sich sein<lb/>
Streben dergestalt auf das Gesammtwirken Aller, welche<lb/>
mit ihm in Verbindung stehn, da&#x017F;s er selbst zurücktritt,<lb/>
wenn an den Andern die Reihe ist, sich hervorzuthun.<lb/>
Man könnte in Versuchung gerathen, darin eine Aeu&#x017F;se-<lb/>
rung der Moralität zu suchen; allein dies Zurücktreten<lb/>
ist nichts mehr als das Pausiren des Musikers, welcher<lb/>
voraussetzt und will, da&#x017F;s die übrigen Stimmen fortfah-<lb/>
ren, damit das Tonstück, was ihm vorschwebt, vollstän-<lb/>
dig, im rechten Tacte und Vortrage, herauskomme.<lb/>
Weder in dem Musiker, noch in dem Staatsbürger, könnte<lb/>
ein solches Streben seyn, wäre es nicht zuvor, nach den,<lb/>
im ersten Theile entwickelten, mathematisch-psychologi-<lb/>
schen Gesetzen, in den Vorstellungen begründet. Denn<lb/>
der Musiker spielt seine Noten in solcher Ordnung, sol-<lb/>
chem Rhythmus, wie er sich die Töne denkt; sein Vor-<lb/>
trag ist der unmittelbare Ausdruck des Strebens in sei-<lb/>
nen Vorstellungen. Der Bürger fühlt sich auf gleiche<lb/>
Weise getrieben zum regelmä&#x017F;sigen Handeln mit Andern,<lb/>
und in Uebereinstimmung mit Andern; dergestalt, da&#x017F;s,<lb/>
wenn sie säumten, er sie ermahnen würde, das Ihrige zu<lb/>
thun; darum, weil für ihn in dem Gedanken seines eignen<lb/>
Thuns schon das dazu gehörige Thun der ihm nahe<lb/>
Stehenden mit inbegriffen, mit einbedungen ist. Der Lauf<lb/>
seiner Vorstellungen wird aufgehalten, <hi rendition="#g">das darin wirk-<lb/>
same Streben erleidet eine Hemmung</hi>, wofern<lb/>
er seine Nächsten nicht vollführen sieht, was ihnen<lb/>
zukommt.</p><lb/>
          <p>Was nun hier, als ob es die Wirkung eines Na-<lb/>
turtriebes wäre, vor Augen liegt, das mu&#x017F;s erklärt und<lb/>
begriffen werden aus jenen Gesetzen der Mechanik des<lb/>
Geistes.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Kraft der Ordnung</hi> im Staate ist nun die<lb/>
Gesammtkraft aus allen den einzelnen Kräften, welche<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0066] eben solches vordringendes Streben eigen, wie den Vor- stellungen; aber theils will er nicht allein vordringen, sondern in Verbindung mit Anderen, die ihm nahe stehn, — theils, was hier die Hauptsache ist, richtet sich sein Streben dergestalt auf das Gesammtwirken Aller, welche mit ihm in Verbindung stehn, daſs er selbst zurücktritt, wenn an den Andern die Reihe ist, sich hervorzuthun. Man könnte in Versuchung gerathen, darin eine Aeuſse- rung der Moralität zu suchen; allein dies Zurücktreten ist nichts mehr als das Pausiren des Musikers, welcher voraussetzt und will, daſs die übrigen Stimmen fortfah- ren, damit das Tonstück, was ihm vorschwebt, vollstän- dig, im rechten Tacte und Vortrage, herauskomme. Weder in dem Musiker, noch in dem Staatsbürger, könnte ein solches Streben seyn, wäre es nicht zuvor, nach den, im ersten Theile entwickelten, mathematisch-psychologi- schen Gesetzen, in den Vorstellungen begründet. Denn der Musiker spielt seine Noten in solcher Ordnung, sol- chem Rhythmus, wie er sich die Töne denkt; sein Vor- trag ist der unmittelbare Ausdruck des Strebens in sei- nen Vorstellungen. Der Bürger fühlt sich auf gleiche Weise getrieben zum regelmäſsigen Handeln mit Andern, und in Uebereinstimmung mit Andern; dergestalt, daſs, wenn sie säumten, er sie ermahnen würde, das Ihrige zu thun; darum, weil für ihn in dem Gedanken seines eignen Thuns schon das dazu gehörige Thun der ihm nahe Stehenden mit inbegriffen, mit einbedungen ist. Der Lauf seiner Vorstellungen wird aufgehalten, das darin wirk- same Streben erleidet eine Hemmung, wofern er seine Nächsten nicht vollführen sieht, was ihnen zukommt. Was nun hier, als ob es die Wirkung eines Na- turtriebes wäre, vor Augen liegt, das muſs erklärt und begriffen werden aus jenen Gesetzen der Mechanik des Geistes. Die Kraft der Ordnung im Staate ist nun die Gesammtkraft aus allen den einzelnen Kräften, welche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/66
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/66>, abgerufen am 25.11.2024.