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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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nach längst vorhanden, bevor es durch weitere
Entwickelung in das Gebiet der ästhetischen
Betrachtung eintritt, und dort Bedeutung er-
langt
.
Ein Beyspiel im Grossen mag dieses klärer sa-
gen. Schon zu den Zeiten der Scipionen trug der Rö-
mische Stolz und Factionsgeist die Unruhen der Trium-
virate, und die spätere Grausamkeit der Imperatoren, im
Keime; aber wer wird darum, weil Eins sich aus dem
Andern entwickelte, das Zeitalter der Punischen Kriege,
das der Triumvirn, und jenes des Tiberius und Caligula,
in einerley Verdammungsurtheil einschliessen? -- Wer
nun hier die nothwendige Sonderung des theoretischen
und des ästhetischen Urtheils begreift: der halte sie vest,
für alle Philosophie; sonst wird er in keiner Gegend der-
selben klar sehen können.

Betrachtet man den natürlichen Ursprung: so kann
man den ältesten Anfang des Bösen am wenigsten da
suchen, wo die praktische Philosophie ihre Darstellung
der Ideen beginnt. Die innere Freyheit ist das letzte,
was der moralische Mensch in sich bildet, und was der
Böse verhöhnt und wegwirft. Hingegen die gesellschaft-
lichen Ideen sind das Erste, wogegen der Feind im In-
nern heranwächst.

Das Herz des Menschen öffnet sich Einigen, und
verschliesst sich Andern. Diese einfache Thatsache ist
bekannt genug; man weiss auch, dass ganz zufällige Asso-
ciationen darauf Einfluss haben. In der Regel gewöhnt
sich der Mensch an Diejenigen, mit denen er in seinen
frühesten Jahren zusammenlebt; soll er von ihnen sich
trennen, so fühlt er schmerzlich, dass ein Riss in seinem
Innern geschieht, indem er sie nun entbehren muss. Er
vermisst sie, er sehnt sich nach ihnen. Dies aus der
Entstehung des Selbstbewusstseyns, und aus den Unter-
suchungen über das Begehren (im §. 150.) zu erklären,
kann Niemanden schwer fallen. Allein der Kreis deren,
mit welchen das individuelle Ich so innig verschmilzt, dass
es in seinem gewohnten Thun und Hingeben sich auf

nach längst vorhanden, bevor es durch weitere
Entwickelung in das Gebiet der ästhetischen
Betrachtung eintritt, und dort Bedeutung er-
langt
.
Ein Beyspiel im Groſsen mag dieses klärer sa-
gen. Schon zu den Zeiten der Scipionen trug der Rö-
mische Stolz und Factionsgeist die Unruhen der Trium-
virate, und die spätere Grausamkeit der Imperatoren, im
Keime; aber wer wird darum, weil Eins sich aus dem
Andern entwickelte, das Zeitalter der Punischen Kriege,
das der Triumvirn, und jenes des Tiberius und Caligula,
in einerley Verdammungsurtheil einschlieſsen? — Wer
nun hier die nothwendige Sonderung des theoretischen
und des ästhetischen Urtheils begreift: der halte sie vest,
für alle Philosophie; sonst wird er in keiner Gegend der-
selben klar sehen können.

Betrachtet man den natürlichen Ursprung: so kann
man den ältesten Anfang des Bösen am wenigsten da
suchen, wo die praktische Philosophie ihre Darstellung
der Ideen beginnt. Die innere Freyheit ist das letzte,
was der moralische Mensch in sich bildet, und was der
Böse verhöhnt und wegwirft. Hingegen die gesellschaft-
lichen Ideen sind das Erste, wogegen der Feind im In-
nern heranwächst.

Das Herz des Menschen öffnet sich Einigen, und
verschlieſst sich Andern. Diese einfache Thatsache ist
bekannt genug; man weiſs auch, daſs ganz zufällige Asso-
ciationen darauf Einfluſs haben. In der Regel gewöhnt
sich der Mensch an Diejenigen, mit denen er in seinen
frühesten Jahren zusammenlebt; soll er von ihnen sich
trennen, so fühlt er schmerzlich, daſs ein Riſs in seinem
Innern geschieht, indem er sie nun entbehren muſs. Er
vermiſst sie, er sehnt sich nach ihnen. Dies aus der
Entstehung des Selbstbewuſstseyns, und aus den Unter-
suchungen über das Begehren (im §. 150.) zu erklären,
kann Niemanden schwer fallen. Allein der Kreis deren,
mit welchen das individuelle Ich so innig verschmilzt, daſs
es in seinem gewohnten Thun und Hingeben sich auf

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[442/0477] nach längst vorhanden, bevor es durch weitere Entwickelung in das Gebiet der ästhetischen Betrachtung eintritt, und dort Bedeutung er- langt. Ein Beyspiel im Groſsen mag dieses klärer sa- gen. Schon zu den Zeiten der Scipionen trug der Rö- mische Stolz und Factionsgeist die Unruhen der Trium- virate, und die spätere Grausamkeit der Imperatoren, im Keime; aber wer wird darum, weil Eins sich aus dem Andern entwickelte, das Zeitalter der Punischen Kriege, das der Triumvirn, und jenes des Tiberius und Caligula, in einerley Verdammungsurtheil einschlieſsen? — Wer nun hier die nothwendige Sonderung des theoretischen und des ästhetischen Urtheils begreift: der halte sie vest, für alle Philosophie; sonst wird er in keiner Gegend der- selben klar sehen können. Betrachtet man den natürlichen Ursprung: so kann man den ältesten Anfang des Bösen am wenigsten da suchen, wo die praktische Philosophie ihre Darstellung der Ideen beginnt. Die innere Freyheit ist das letzte, was der moralische Mensch in sich bildet, und was der Böse verhöhnt und wegwirft. Hingegen die gesellschaft- lichen Ideen sind das Erste, wogegen der Feind im In- nern heranwächst. Das Herz des Menschen öffnet sich Einigen, und verschlieſst sich Andern. Diese einfache Thatsache ist bekannt genug; man weiſs auch, daſs ganz zufällige Asso- ciationen darauf Einfluſs haben. In der Regel gewöhnt sich der Mensch an Diejenigen, mit denen er in seinen frühesten Jahren zusammenlebt; soll er von ihnen sich trennen, so fühlt er schmerzlich, daſs ein Riſs in seinem Innern geschieht, indem er sie nun entbehren muſs. Er vermiſst sie, er sehnt sich nach ihnen. Dies aus der Entstehung des Selbstbewuſstseyns, und aus den Unter- suchungen über das Begehren (im §. 150.) zu erklären, kann Niemanden schwer fallen. Allein der Kreis deren, mit welchen das individuelle Ich so innig verschmilzt, daſs es in seinem gewohnten Thun und Hingeben sich auf

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/477>, abgerufen am 22.11.2024.