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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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so wenig in den Urgebirgen als in der Damm-
erde
*). Das heisst: das Gute und Böse liegt weder in
den Dingen an sich, die wir Noumena zu nennen pfle-
gen, noch in den Phänomenen, deren Zusammenhang
mit jenen entweder gar nicht untersucht, oder verkannt
zu werden pflegt. Gutes und Böses liegt in der Mit-
telwelt
zwischen beyden.

Dies sollte nun zwar für den Leser längst keiner
Erläuterung mehr bedürfen. Allein der Sicherheit wegen
will ich etwas hinzusetzen, besonders weil dadurch Ge-
legenheit zu nützlichen Rückblicken auf das Vorgetra-
gene gegeben wird.

Zuvörderst: das Böse, vom psychologischen Stand-
puncte betrachtet, bildet keine Classe von Gegenständen
für sich allein; sondern es ist in Hinsicht seines Entste-

hens
*) Man verzeihe, dass ich dies aus einer frühern Schrift wörtlich
abschreibe. Es ist ein Satz, den ich in der That so oft wiederhohlt
wünschte, bis er völlig durchdacht, und in allen seinen Beziehungen
verstanden seyn möchte. Wer ihn nicht einsieht, der wird niemals,
wie man es nennt, mit seinen Ueberzeugungen ganz ins Reine kom-
men. Den wesentlichen Sinn desselben könnte man auch so ausdrük-
ken: Die Psychologie, wiewohl in ihrem theoretischen Verhältniss
der allgemeinen Metaphysik (oder Ontologie) untergeordnet, hat
dennoch eine ungleich höhere Würde. Sie ist von der ganzen Me-
taphysik derjenige Theil, wo der an sich kalte und harte Boden die-
ser Naturwissenschaft zuerst den Sonnenstrahl des ästhetischen
Urtheils empfängt und in sich saugt, um sich in einen Wohnplatz zu
verwandeln, wo das geistige Leben des Menschen gedeihen könne.
Die allgemeine Metaphysik dagegen ist eine eisigte Insel, die nur von
sehr gesunden, mit gutem Vorrath fürs Leben hinreichend versehenen
Köpfen darf besucht werden. Es hat zwar Personen gegeben, die da
hofften, das rauhe Klima dieser Insel zu verbessern, wenn sie Blumen
und edle Früchte darauf pflanzten. Aber was sie auch bringen mögen
von Gegenständen, die wohlthätig wirken aufs Gefühl, -- in einer
so kalten Zone muss es verdorren; und der Gewinn ist bloss, dass die
Herrn ihre Unkunde in der Geographie des wissenschaftlichen Bodens
zur Schau stellen. Eine sehr schädliche Unwissenheit! Denn es ent-
steht daraus eine Vielgeschäfftigkeit, wodurch die nothwendigen Arbei-
ten gehindert werden.

so wenig in den Urgebirgen als in der Damm-
erde
*). Das heiſst: das Gute und Böse liegt weder in
den Dingen an sich, die wir Noumena zu nennen pfle-
gen, noch in den Phänomenen, deren Zusammenhang
mit jenen entweder gar nicht untersucht, oder verkannt
zu werden pflegt. Gutes und Böses liegt in der Mit-
telwelt
zwischen beyden.

Dies sollte nun zwar für den Leser längst keiner
Erläuterung mehr bedürfen. Allein der Sicherheit wegen
will ich etwas hinzusetzen, besonders weil dadurch Ge-
legenheit zu nützlichen Rückblicken auf das Vorgetra-
gene gegeben wird.

Zuvörderst: das Böse, vom psychologischen Stand-
puncte betrachtet, bildet keine Classe von Gegenständen
für sich allein; sondern es ist in Hinsicht seines Entste-

hens
*) Man verzeihe, daſs ich dies aus einer frühern Schrift wörtlich
abschreibe. Es ist ein Satz, den ich in der That so oft wiederhohlt
wünschte, bis er völlig durchdacht, und in allen seinen Beziehungen
verstanden seyn möchte. Wer ihn nicht einsieht, der wird niemals,
wie man es nennt, mit seinen Ueberzeugungen ganz ins Reine kom-
men. Den wesentlichen Sinn desselben könnte man auch so ausdrük-
ken: Die Psychologie, wiewohl in ihrem theoretischen Verhältniſs
der allgemeinen Metaphysik (oder Ontologie) untergeordnet, hat
dennoch eine ungleich höhere Würde. Sie ist von der ganzen Me-
taphysik derjenige Theil, wo der an sich kalte und harte Boden die-
ser Naturwissenschaft zuerst den Sonnenstrahl des ästhetischen
Urtheils empfängt und in sich saugt, um sich in einen Wohnplatz zu
verwandeln, wo das geistige Leben des Menschen gedeihen könne.
Die allgemeine Metaphysik dagegen ist eine eisigte Insel, die nur von
sehr gesunden, mit gutem Vorrath fürs Leben hinreichend versehenen
Köpfen darf besucht werden. Es hat zwar Personen gegeben, die da
hofften, das rauhe Klima dieser Insel zu verbessern, wenn sie Blumen
und edle Früchte darauf pflanzten. Aber was sie auch bringen mögen
von Gegenständen, die wohlthätig wirken aufs Gefühl, — in einer
so kalten Zone muſs es verdorren; und der Gewinn ist bloſs, daſs die
Herrn ihre Unkunde in der Geographie des wissenschaftlichen Bodens
zur Schau stellen. Eine sehr schädliche Unwissenheit! Denn es ent-
steht daraus eine Vielgeschäfftigkeit, wodurch die nothwendigen Arbei-
ten gehindert werden.
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[432/0467] so wenig in den Urgebirgen als in der Damm- erde *). Das heiſst: das Gute und Böse liegt weder in den Dingen an sich, die wir Noumena zu nennen pfle- gen, noch in den Phänomenen, deren Zusammenhang mit jenen entweder gar nicht untersucht, oder verkannt zu werden pflegt. Gutes und Böses liegt in der Mit- telwelt zwischen beyden. Dies sollte nun zwar für den Leser längst keiner Erläuterung mehr bedürfen. Allein der Sicherheit wegen will ich etwas hinzusetzen, besonders weil dadurch Ge- legenheit zu nützlichen Rückblicken auf das Vorgetra- gene gegeben wird. Zuvörderst: das Böse, vom psychologischen Stand- puncte betrachtet, bildet keine Classe von Gegenständen für sich allein; sondern es ist in Hinsicht seines Entste- hens *) Man verzeihe, daſs ich dies aus einer frühern Schrift wörtlich abschreibe. Es ist ein Satz, den ich in der That so oft wiederhohlt wünschte, bis er völlig durchdacht, und in allen seinen Beziehungen verstanden seyn möchte. Wer ihn nicht einsieht, der wird niemals, wie man es nennt, mit seinen Ueberzeugungen ganz ins Reine kom- men. Den wesentlichen Sinn desselben könnte man auch so ausdrük- ken: Die Psychologie, wiewohl in ihrem theoretischen Verhältniſs der allgemeinen Metaphysik (oder Ontologie) untergeordnet, hat dennoch eine ungleich höhere Würde. Sie ist von der ganzen Me- taphysik derjenige Theil, wo der an sich kalte und harte Boden die- ser Naturwissenschaft zuerst den Sonnenstrahl des ästhetischen Urtheils empfängt und in sich saugt, um sich in einen Wohnplatz zu verwandeln, wo das geistige Leben des Menschen gedeihen könne. Die allgemeine Metaphysik dagegen ist eine eisigte Insel, die nur von sehr gesunden, mit gutem Vorrath fürs Leben hinreichend versehenen Köpfen darf besucht werden. Es hat zwar Personen gegeben, die da hofften, das rauhe Klima dieser Insel zu verbessern, wenn sie Blumen und edle Früchte darauf pflanzten. Aber was sie auch bringen mögen von Gegenständen, die wohlthätig wirken aufs Gefühl, — in einer so kalten Zone muſs es verdorren; und der Gewinn ist bloſs, daſs die Herrn ihre Unkunde in der Geographie des wissenschaftlichen Bodens zur Schau stellen. Eine sehr schädliche Unwissenheit! Denn es ent- steht daraus eine Vielgeschäfftigkeit, wodurch die nothwendigen Arbei- ten gehindert werden.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/467>, abgerufen am 23.11.2024.