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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Mensch das Ganze seiner Bestrebungen und Erwartungen
zusammenfasst, und sie mit seiner Ueberschauung der
ihn umgebenden Objecte in bestimmte, bleibende Ver-
bindung setzt, hängt das flatterhafte Begehren, welches
bald diesen bald jenen Gegenstand traf, an, sich zu ver-
lieren; seine Begierden werden gleichförmiger; er empfin-
det den Druck der Aussenwelt mehr anhaltend und zu-
sammenhängend an denselben Stellen; ungeachtet der Ab-
änderung in Einzelnheiten; er widersteht diesem Drucke
desto beharrlicher, je mehr Mittel und Anstalten er noch
in seiner Gewalt glaubt, um mit der Zeit zum Ziele zu
kommen.

Auch auf dieser Stufe nun erfordert die Gesundheit
des Geistes, dass das Ich im Gleichgewichte gehalten
werde. Nicht bloss die Mutter verzieht das Kind; auch
den Mann, sobald er mehr von Plänen als von Maximen
erfüllt ist, kann das Schicksal sowohl verziehen als nie-
derdrücken. Die Beyspiele sind bekannt genug; die Täu-
schungen, die Gefahren, das Unglück was daraus ent-
steht, ist es ebenfalls.

Darum soll der Mann die höhere Ausbildung erlan-
gen, welche die dritte Stufe bezeichnet; er soll durch
Maximen, und zwar durch richtige sittliche Maximen, ge-
leitet werden. Mögen die Aussendinge ihn aufregen; nur
ihn in gerader Linie zu sich hinziehn dürfen sie nicht;
die Richtung muss von den Grundsätzen abhängen. Dass
nun nicht etwa die Grundsätze selbst eine Materie des
Begehrens als Triebfeder enthalten, oder mit andern
Worten, dass sie nicht der Ausdruck eines durch sein
Object bestimmten Begehrens seyn, -- den Menschen
nicht anlocken, sondern gleichsam von hinten her in Be-
wegung setzen sollen: dies hat uns Kant nachdrücklich
genug eingeschärft; ein nie genug zu schätzendes Ver-
dienst; und, wenn man diese grosse Wahrheit so hoch
aus mancherley Irrthum hervorragen sieht, beynahe ein
Wunder!

Auch auf dieser Stufe der Maximen muss das Ich

Mensch das Ganze seiner Bestrebungen und Erwartungen
zusammenfaſst, und sie mit seiner Ueberschauung der
ihn umgebenden Objecte in bestimmte, bleibende Ver-
bindung setzt, hängt das flatterhafte Begehren, welches
bald diesen bald jenen Gegenstand traf, an, sich zu ver-
lieren; seine Begierden werden gleichförmiger; er empfin-
det den Druck der Auſsenwelt mehr anhaltend und zu-
sammenhängend an denselben Stellen; ungeachtet der Ab-
änderung in Einzelnheiten; er widersteht diesem Drucke
desto beharrlicher, je mehr Mittel und Anstalten er noch
in seiner Gewalt glaubt, um mit der Zeit zum Ziele zu
kommen.

Auch auf dieser Stufe nun erfordert die Gesundheit
des Geistes, daſs das Ich im Gleichgewichte gehalten
werde. Nicht bloſs die Mutter verzieht das Kind; auch
den Mann, sobald er mehr von Plänen als von Maximen
erfüllt ist, kann das Schicksal sowohl verziehen als nie-
derdrücken. Die Beyspiele sind bekannt genug; die Täu-
schungen, die Gefahren, das Unglück was daraus ent-
steht, ist es ebenfalls.

Darum soll der Mann die höhere Ausbildung erlan-
gen, welche die dritte Stufe bezeichnet; er soll durch
Maximen, und zwar durch richtige sittliche Maximen, ge-
leitet werden. Mögen die Auſsendinge ihn aufregen; nur
ihn in gerader Linie zu sich hinziehn dürfen sie nicht;
die Richtung muſs von den Grundsätzen abhängen. Daſs
nun nicht etwa die Grundsätze selbst eine Materie des
Begehrens als Triebfeder enthalten, oder mit andern
Worten, daſs sie nicht der Ausdruck eines durch sein
Object bestimmten Begehrens seyn, — den Menschen
nicht anlocken, sondern gleichsam von hinten her in Be-
wegung setzen sollen: dies hat uns Kant nachdrücklich
genug eingeschärft; ein nie genug zu schätzendes Ver-
dienst; und, wenn man diese groſse Wahrheit so hoch
aus mancherley Irrthum hervorragen sieht, beynahe ein
Wunder!

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[426/0461] Mensch das Ganze seiner Bestrebungen und Erwartungen zusammenfaſst, und sie mit seiner Ueberschauung der ihn umgebenden Objecte in bestimmte, bleibende Ver- bindung setzt, hängt das flatterhafte Begehren, welches bald diesen bald jenen Gegenstand traf, an, sich zu ver- lieren; seine Begierden werden gleichförmiger; er empfin- det den Druck der Auſsenwelt mehr anhaltend und zu- sammenhängend an denselben Stellen; ungeachtet der Ab- änderung in Einzelnheiten; er widersteht diesem Drucke desto beharrlicher, je mehr Mittel und Anstalten er noch in seiner Gewalt glaubt, um mit der Zeit zum Ziele zu kommen. Auch auf dieser Stufe nun erfordert die Gesundheit des Geistes, daſs das Ich im Gleichgewichte gehalten werde. Nicht bloſs die Mutter verzieht das Kind; auch den Mann, sobald er mehr von Plänen als von Maximen erfüllt ist, kann das Schicksal sowohl verziehen als nie- derdrücken. Die Beyspiele sind bekannt genug; die Täu- schungen, die Gefahren, das Unglück was daraus ent- steht, ist es ebenfalls. Darum soll der Mann die höhere Ausbildung erlan- gen, welche die dritte Stufe bezeichnet; er soll durch Maximen, und zwar durch richtige sittliche Maximen, ge- leitet werden. Mögen die Auſsendinge ihn aufregen; nur ihn in gerader Linie zu sich hinziehn dürfen sie nicht; die Richtung muſs von den Grundsätzen abhängen. Daſs nun nicht etwa die Grundsätze selbst eine Materie des Begehrens als Triebfeder enthalten, oder mit andern Worten, daſs sie nicht der Ausdruck eines durch sein Object bestimmten Begehrens seyn, — den Menschen nicht anlocken, sondern gleichsam von hinten her in Be- wegung setzen sollen: dies hat uns Kant nachdrücklich genug eingeschärft; ein nie genug zu schätzendes Ver- dienst; und, wenn man diese groſse Wahrheit so hoch aus mancherley Irrthum hervorragen sieht, beynahe ein Wunder! Auch auf dieser Stufe der Maximen muſs das Ich

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/461>, abgerufen am 23.11.2024.