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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Eben so flüchtig sind die Affecten; (§. 106.) und
daher eben so untauglich, Maximen zu stiften; wiewohl
sie sehr füglich die Gegenstände werden können, wor-
über
in praktischen Grundsätzen etwas angeordnet wird.
Dann liegt aber das thätige Princip der Maximen in hö-
hern, appercipirenden Vorstellungsmassen, die wir im
§. 126. u. f. beschrieben haben.

Es bleiben noch die Leidenschaften, die Gefühle des
Angenehmen und Unangenehmen im strengen Sinn, (de-
nen man die Lustgefühle des §. 87. in dem Falle zu-
gesellen muss, wenn die Bedingungen derselben auf be-
harrliche Weise an den Objecten haften,) und die ästhe-
tischen Urtheile. Jede dieser Arten des Vorziehens und
Verwerfens ergiebt wirklich Maximen.

Zuvörderst die Leidenschaften. Sie sind nach §. 107.
bleibende Dispositionen zu Begierden, die in der ganzen
Verwebung der Vorstellungen ihren Sitz haben. Aus
ihnen also kömmt ein häufiges, gleichartig sich wieder-
hohlendes Begehren; welchem gemäss die übrigen Vor-
stellungen sich stets auf ähnliche Weise fügen und schik-
ken. Nimmt man hiezu die Wiedererweckung der ähnli-
chen Vorstellungen, und ihre Verschmelzung: so sieht
man wohl, wie nach und nach ein Wollen entstehe, bey
welchem die Umstände des Zeitmoments im einzelnen
Fall, oder die Bestimmungen eines einzelnen Gegenstan-
des, sich beynahe aus dem Bewusstseyn verlieren neben
dem Gleichartigen aller der Fälle, in denen die Leiden-
schaft wirkte und sich befriedigte. Der Zustand des
durch diese Leidenschaft aufgeregten Gemüths gleicht
also dem Denken eines rohen allgemeinen Begriffs in
dem Puncte, dass auch hier eine Totalkraft vorhanden
ist, in welcher verworrener Weise viel Ungleichartiges
verschmolzen liegt, das von dem Gleichartigen grossen-
theils erstickt wird. Der Mensch, der bekannt, dass er
die Karten liebe, drückt hiemit auf einmal alle die ver-
schmolzenen Strebungen aus, die er zu verschiedenen
Zeiten, spielend mit verschiedenen Personen, vielleicht

Eben so flüchtig sind die Affecten; (§. 106.) und
daher eben so untauglich, Maximen zu stiften; wiewohl
sie sehr füglich die Gegenstände werden können, wor-
über
in praktischen Grundsätzen etwas angeordnet wird.
Dann liegt aber das thätige Princip der Maximen in hö-
hern, appercipirenden Vorstellungsmassen, die wir im
§. 126. u. f. beschrieben haben.

Es bleiben noch die Leidenschaften, die Gefühle des
Angenehmen und Unangenehmen im strengen Sinn, (de-
nen man die Lustgefühle des §. 87. in dem Falle zu-
gesellen muſs, wenn die Bedingungen derselben auf be-
harrliche Weise an den Objecten haften,) und die ästhe-
tischen Urtheile. Jede dieser Arten des Vorziehens und
Verwerfens ergiebt wirklich Maximen.

Zuvörderst die Leidenschaften. Sie sind nach §. 107.
bleibende Dispositionen zu Begierden, die in der ganzen
Verwebung der Vorstellungen ihren Sitz haben. Aus
ihnen also kömmt ein häufiges, gleichartig sich wieder-
hohlendes Begehren; welchem gemäſs die übrigen Vor-
stellungen sich stets auf ähnliche Weise fügen und schik-
ken. Nimmt man hiezu die Wiedererweckung der ähnli-
chen Vorstellungen, und ihre Verschmelzung: so sieht
man wohl, wie nach und nach ein Wollen entstehe, bey
welchem die Umstände des Zeitmoments im einzelnen
Fall, oder die Bestimmungen eines einzelnen Gegenstan-
des, sich beynahe aus dem Bewuſstseyn verlieren neben
dem Gleichartigen aller der Fälle, in denen die Leiden-
schaft wirkte und sich befriedigte. Der Zustand des
durch diese Leidenschaft aufgeregten Gemüths gleicht
also dem Denken eines rohen allgemeinen Begriffs in
dem Puncte, daſs auch hier eine Totalkraft vorhanden
ist, in welcher verworrener Weise viel Ungleichartiges
verschmolzen liegt, das von dem Gleichartigen groſsen-
theils erstickt wird. Der Mensch, der bekannt, daſs er
die Karten liebe, drückt hiemit auf einmal alle die ver-
schmolzenen Strebungen aus, die er zu verschiedenen
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[411/0446] Eben so flüchtig sind die Affecten; (§. 106.) und daher eben so untauglich, Maximen zu stiften; wiewohl sie sehr füglich die Gegenstände werden können, wor- über in praktischen Grundsätzen etwas angeordnet wird. Dann liegt aber das thätige Princip der Maximen in hö- hern, appercipirenden Vorstellungsmassen, die wir im §. 126. u. f. beschrieben haben. Es bleiben noch die Leidenschaften, die Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen im strengen Sinn, (de- nen man die Lustgefühle des §. 87. in dem Falle zu- gesellen muſs, wenn die Bedingungen derselben auf be- harrliche Weise an den Objecten haften,) und die ästhe- tischen Urtheile. Jede dieser Arten des Vorziehens und Verwerfens ergiebt wirklich Maximen. Zuvörderst die Leidenschaften. Sie sind nach §. 107. bleibende Dispositionen zu Begierden, die in der ganzen Verwebung der Vorstellungen ihren Sitz haben. Aus ihnen also kömmt ein häufiges, gleichartig sich wieder- hohlendes Begehren; welchem gemäſs die übrigen Vor- stellungen sich stets auf ähnliche Weise fügen und schik- ken. Nimmt man hiezu die Wiedererweckung der ähnli- chen Vorstellungen, und ihre Verschmelzung: so sieht man wohl, wie nach und nach ein Wollen entstehe, bey welchem die Umstände des Zeitmoments im einzelnen Fall, oder die Bestimmungen eines einzelnen Gegenstan- des, sich beynahe aus dem Bewuſstseyn verlieren neben dem Gleichartigen aller der Fälle, in denen die Leiden- schaft wirkte und sich befriedigte. Der Zustand des durch diese Leidenschaft aufgeregten Gemüths gleicht also dem Denken eines rohen allgemeinen Begriffs in dem Puncte, daſs auch hier eine Totalkraft vorhanden ist, in welcher verworrener Weise viel Ungleichartiges verschmolzen liegt, das von dem Gleichartigen groſsen- theils erstickt wird. Der Mensch, der bekannt, daſs er die Karten liebe, drückt hiemit auf einmal alle die ver- schmolzenen Strebungen aus, die er zu verschiedenen Zeiten, spielend mit verschiedenen Personen, vielleicht

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/446>, abgerufen am 22.11.2024.