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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Diese Frage erfordert nunmehr eine ausführliche Unter-
suchung.

Bevor wir dieselbe eröffnen: ist vielleicht für einige
Leser nöthig zu erinnern, dass wir hier nicht von den
bedingt gestellten Imperativen der Klugheit reden, die
unter die Formel fallen, wenn Jemand den Zweck will,
so muss er auch die Mittel wollen. Die Frage nach der
psychologischen Möglichkeit, dass man Mittel versuche,
um das Begehrte zu erreichen, würde uns noch einmal
nöthigen, zu den Reihen der Vorstellungen zurückzugehn;
wir überschlagen diese Frage, und beschäfftigen uns mit
den Maximen. Wie lange es aber noch zweifelhaft ist,
ob man den Zweck wolle, so lange ist noch gar keine
Maxime als solche vorhanden. Indem Jemand eine ge-
wisse Regel zu seiner Maxime erhebt, will er wirklich
den Zweck, worauf die Regel zielt. Dieses Wollen nun
ist kein vorübergehendes Begehren, sondern es liegt darin
der Charakter der Stetigkeit und Allgemeinheit. Was
aber die Mittel anlangt, deren die Maxime vielleicht als
Bedingungen erwähnt, unter denen der Zweck zu errei-
chen sey, so kümmern uns diese hier gar nicht; wir ha-
ben es bloss mit der Activität, mit dem Triebe zu thun,
den die Maxime ausspricht.

Und jetzt vergegenwärtige man sich den Zustand
des Begehrens, so wie derselbe im §. 104., und im An-
fange dieses §. beschrieben worden. Man wird sehn,
dass der erwähnte Zustand etwas Vorübergehendes ist,
während die Vorstellungen selbst, bleiben; dass also das
Begehren, in seiner einfachsten Gestalt, nichts solches
ist, welches könnte in irgend einer Verschmelzung auf-
behalten werden. Eine Vorstellung, die in einem Au-
genblick ein Begehrtes bezeichnet, verliert vielleicht diese
Bestimmung im nächsten Moment; ihr Object ist jetzt
gleichgültig, und abermals im folgenden Augenblicke viel-
leicht ein Gegenstand des Widerwillens. Etwas so wan-
delbares kann den Inhalt praktischer Maximen nicht dar-
bieten.

Diese Frage erfordert nunmehr eine ausführliche Unter-
suchung.

Bevor wir dieselbe eröffnen: ist vielleicht für einige
Leser nöthig zu erinnern, daſs wir hier nicht von den
bedingt gestellten Imperativen der Klugheit reden, die
unter die Formel fallen, wenn Jemand den Zweck will,
so muſs er auch die Mittel wollen. Die Frage nach der
psychologischen Möglichkeit, daſs man Mittel versuche,
um das Begehrte zu erreichen, würde uns noch einmal
nöthigen, zu den Reihen der Vorstellungen zurückzugehn;
wir überschlagen diese Frage, und beschäfftigen uns mit
den Maximen. Wie lange es aber noch zweifelhaft ist,
ob man den Zweck wolle, so lange ist noch gar keine
Maxime als solche vorhanden. Indem Jemand eine ge-
wisse Regel zu seiner Maxime erhebt, will er wirklich
den Zweck, worauf die Regel zielt. Dieses Wollen nun
ist kein vorübergehendes Begehren, sondern es liegt darin
der Charakter der Stetigkeit und Allgemeinheit. Was
aber die Mittel anlangt, deren die Maxime vielleicht als
Bedingungen erwähnt, unter denen der Zweck zu errei-
chen sey, so kümmern uns diese hier gar nicht; wir ha-
ben es bloſs mit der Activität, mit dem Triebe zu thun,
den die Maxime ausspricht.

Und jetzt vergegenwärtige man sich den Zustand
des Begehrens, so wie derselbe im §. 104., und im An-
fange dieses §. beschrieben worden. Man wird sehn,
daſs der erwähnte Zustand etwas Vorübergehendes ist,
während die Vorstellungen selbst, bleiben; daſs also das
Begehren, in seiner einfachsten Gestalt, nichts solches
ist, welches könnte in irgend einer Verschmelzung auf-
behalten werden. Eine Vorstellung, die in einem Au-
genblick ein Begehrtes bezeichnet, verliert vielleicht diese
Bestimmung im nächsten Moment; ihr Object ist jetzt
gleichgültig, und abermals im folgenden Augenblicke viel-
leicht ein Gegenstand des Widerwillens. Etwas so wan-
delbares kann den Inhalt praktischer Maximen nicht dar-
bieten.

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[410/0445] Diese Frage erfordert nunmehr eine ausführliche Unter- suchung. Bevor wir dieselbe eröffnen: ist vielleicht für einige Leser nöthig zu erinnern, daſs wir hier nicht von den bedingt gestellten Imperativen der Klugheit reden, die unter die Formel fallen, wenn Jemand den Zweck will, so muſs er auch die Mittel wollen. Die Frage nach der psychologischen Möglichkeit, daſs man Mittel versuche, um das Begehrte zu erreichen, würde uns noch einmal nöthigen, zu den Reihen der Vorstellungen zurückzugehn; wir überschlagen diese Frage, und beschäfftigen uns mit den Maximen. Wie lange es aber noch zweifelhaft ist, ob man den Zweck wolle, so lange ist noch gar keine Maxime als solche vorhanden. Indem Jemand eine ge- wisse Regel zu seiner Maxime erhebt, will er wirklich den Zweck, worauf die Regel zielt. Dieses Wollen nun ist kein vorübergehendes Begehren, sondern es liegt darin der Charakter der Stetigkeit und Allgemeinheit. Was aber die Mittel anlangt, deren die Maxime vielleicht als Bedingungen erwähnt, unter denen der Zweck zu errei- chen sey, so kümmern uns diese hier gar nicht; wir ha- ben es bloſs mit der Activität, mit dem Triebe zu thun, den die Maxime ausspricht. Und jetzt vergegenwärtige man sich den Zustand des Begehrens, so wie derselbe im §. 104., und im An- fange dieses §. beschrieben worden. Man wird sehn, daſs der erwähnte Zustand etwas Vorübergehendes ist, während die Vorstellungen selbst, bleiben; daſs also das Begehren, in seiner einfachsten Gestalt, nichts solches ist, welches könnte in irgend einer Verschmelzung auf- behalten werden. Eine Vorstellung, die in einem Au- genblick ein Begehrtes bezeichnet, verliert vielleicht diese Bestimmung im nächsten Moment; ihr Object ist jetzt gleichgültig, und abermals im folgenden Augenblicke viel- leicht ein Gegenstand des Widerwillens. Etwas so wan- delbares kann den Inhalt praktischer Maximen nicht dar- bieten.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/445>, abgerufen am 22.11.2024.