Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

seine Zweifel mit der Metaphysik zugleich die Mathema-
tik trafen. Aber er selbst wurde durch diese Bemerkung
verleitet, zwey sehr verschiedene Gegenstände nur gar
zu nahe zu rücken, und im Grunde weder den einen noch
den andern richtig zu erkennen.

Worin die Nothwendigkeit metaphysischer Sätze,
z. B. des Causalgesetzes, besteht, habe ich oft genug
ausgesprochen und gezeigt; nämlich darin, dass ein Wi-
derspruch muss gehoben werden, der in der Form der
Erfahrung wirklich liegt; z. B. in der Veränderung.

Hingegen in den mathematischen, combinatorischen,
und allen ähnlichen Gesetzen wird bloss eine, einmal
angenommene Regel der Construction vestgehalten, aus
deren Verletzung Widersprüche entstehen würden.

Die oben in der Anmerkung zu §. 142. angeführten
eignen Worte Kants über die Wechselwirkung und
Veränderung zeigen dem scharf genug nachdenkenden
Leser keine blosse Unbegreiflichkeit, sondern eine völlig
klare Ungereimtheit. Hingegen in den geometrischen
Sätzen (so fern sie nicht etwa das Continuum und das
Unendliche betreffen, worin allerdings Widersprüche lie-
gen,) hat noch Niemand etwas Ungereimtes, nicht ein-
mal etwas Unbegreifliches gefunden, sondern ihre Noth-
wendigkeit und ihre Wahrheit leuchtet vollständig ein;
indem bey ihnen gleich der erste Gedanke auch der rich-
tige ist, und man nur durch übereiltes oder absichtliches
Verletzen der einmal angenommenen Regel würde auf
Widersprüche stossen können.

Um diesen Gegenstand so allgemein als möglich zu
erläutern, will ich von dem, was logisch höher steht; als
alle Mathematik, nämlich von der Combinationslehre, zu-
erst ein Beyspiel hernehmen. Man betrachte folgendes
Schema der Versetzungen von vier ungleichen Elementen:
a b c d
a b d c
a c b d
a c d b

seine Zweifel mit der Metaphysik zugleich die Mathema-
tik trafen. Aber er selbst wurde durch diese Bemerkung
verleitet, zwey sehr verschiedene Gegenstände nur gar
zu nahe zu rücken, und im Grunde weder den einen noch
den andern richtig zu erkennen.

Worin die Nothwendigkeit metaphysischer Sätze,
z. B. des Causalgesetzes, besteht, habe ich oft genug
ausgesprochen und gezeigt; nämlich darin, daſs ein Wi-
derspruch muſs gehoben werden, der in der Form der
Erfahrung wirklich liegt; z. B. in der Veränderung.

Hingegen in den mathematischen, combinatorischen,
und allen ähnlichen Gesetzen wird bloſs eine, einmal
angenommene Regel der Construction vestgehalten, aus
deren Verletzung Widersprüche entstehen würden.

Die oben in der Anmerkung zu §. 142. angeführten
eignen Worte Kants über die Wechselwirkung und
Veränderung zeigen dem scharf genug nachdenkenden
Leser keine bloſse Unbegreiflichkeit, sondern eine völlig
klare Ungereimtheit. Hingegen in den geometrischen
Sätzen (so fern sie nicht etwa das Continuum und das
Unendliche betreffen, worin allerdings Widersprüche lie-
gen,) hat noch Niemand etwas Ungereimtes, nicht ein-
mal etwas Unbegreifliches gefunden, sondern ihre Noth-
wendigkeit und ihre Wahrheit leuchtet vollständig ein;
indem bey ihnen gleich der erste Gedanke auch der rich-
tige ist, und man nur durch übereiltes oder absichtliches
Verletzen der einmal angenommenen Regel würde auf
Widersprüche stoſsen können.

Um diesen Gegenstand so allgemein als möglich zu
erläutern, will ich von dem, was logisch höher steht; als
alle Mathematik, nämlich von der Combinationslehre, zu-
erst ein Beyspiel hernehmen. Man betrachte folgendes
Schema der Versetzungen von vier ungleichen Elementen:
a b c d
a b d c
a c b d
a c d b

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0410" n="375"/>
seine Zweifel mit der Metaphysik zugleich die Mathema-<lb/>
tik trafen. Aber er selbst wurde durch diese Bemerkung<lb/>
verleitet, zwey sehr verschiedene Gegenstände nur gar<lb/>
zu nahe zu rücken, und im Grunde weder den einen noch<lb/>
den andern richtig zu erkennen.</p><lb/>
              <p>Worin die Nothwendigkeit metaphysischer Sätze,<lb/>
z. B. des Causalgesetzes, besteht, habe ich oft genug<lb/>
ausgesprochen und gezeigt; nämlich darin, da&#x017F;s ein Wi-<lb/>
derspruch mu&#x017F;s gehoben werden, der in der Form der<lb/>
Erfahrung wirklich liegt; z. B. in der Veränderung.</p><lb/>
              <p>Hingegen in den mathematischen, combinatorischen,<lb/>
und allen ähnlichen Gesetzen wird blo&#x017F;s eine, einmal<lb/>
angenommene Regel der Construction vestgehalten, aus<lb/>
deren Verletzung Widersprüche entstehen <hi rendition="#g">würden</hi>.</p><lb/>
              <p>Die oben in der Anmerkung zu §. 142. angeführten<lb/>
eignen Worte <hi rendition="#g">Kants</hi> über die Wechselwirkung und<lb/>
Veränderung zeigen dem scharf genug nachdenkenden<lb/>
Leser keine blo&#x017F;se Unbegreiflichkeit, sondern eine völlig<lb/>
klare Ungereimtheit. Hingegen in den geometrischen<lb/>
Sätzen (so fern sie nicht etwa das Continuum und das<lb/>
Unendliche betreffen, worin allerdings Widersprüche lie-<lb/>
gen,) hat noch Niemand etwas Ungereimtes, nicht ein-<lb/>
mal etwas Unbegreifliches gefunden, sondern ihre Noth-<lb/>
wendigkeit und ihre Wahrheit leuchtet vollständig ein;<lb/>
indem bey ihnen gleich der erste Gedanke auch der rich-<lb/>
tige ist, und man nur durch übereiltes oder absichtliches<lb/>
Verletzen der einmal angenommenen Regel würde auf<lb/>
Widersprüche sto&#x017F;sen können.</p><lb/>
              <p>Um diesen Gegenstand so allgemein als möglich zu<lb/>
erläutern, will ich von dem, was logisch höher steht; als<lb/>
alle Mathematik, nämlich von der Combinationslehre, zu-<lb/>
erst ein Beyspiel hernehmen. Man betrachte folgendes<lb/>
Schema der Versetzungen von vier ungleichen Elementen:<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#i">a b c d<lb/>
a b d c<lb/>
a c b d<lb/>
a c d b<lb/></hi></hi></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[375/0410] seine Zweifel mit der Metaphysik zugleich die Mathema- tik trafen. Aber er selbst wurde durch diese Bemerkung verleitet, zwey sehr verschiedene Gegenstände nur gar zu nahe zu rücken, und im Grunde weder den einen noch den andern richtig zu erkennen. Worin die Nothwendigkeit metaphysischer Sätze, z. B. des Causalgesetzes, besteht, habe ich oft genug ausgesprochen und gezeigt; nämlich darin, daſs ein Wi- derspruch muſs gehoben werden, der in der Form der Erfahrung wirklich liegt; z. B. in der Veränderung. Hingegen in den mathematischen, combinatorischen, und allen ähnlichen Gesetzen wird bloſs eine, einmal angenommene Regel der Construction vestgehalten, aus deren Verletzung Widersprüche entstehen würden. Die oben in der Anmerkung zu §. 142. angeführten eignen Worte Kants über die Wechselwirkung und Veränderung zeigen dem scharf genug nachdenkenden Leser keine bloſse Unbegreiflichkeit, sondern eine völlig klare Ungereimtheit. Hingegen in den geometrischen Sätzen (so fern sie nicht etwa das Continuum und das Unendliche betreffen, worin allerdings Widersprüche lie- gen,) hat noch Niemand etwas Ungereimtes, nicht ein- mal etwas Unbegreifliches gefunden, sondern ihre Noth- wendigkeit und ihre Wahrheit leuchtet vollständig ein; indem bey ihnen gleich der erste Gedanke auch der rich- tige ist, und man nur durch übereiltes oder absichtliches Verletzen der einmal angenommenen Regel würde auf Widersprüche stoſsen können. Um diesen Gegenstand so allgemein als möglich zu erläutern, will ich von dem, was logisch höher steht; als alle Mathematik, nämlich von der Combinationslehre, zu- erst ein Beyspiel hernehmen. Man betrachte folgendes Schema der Versetzungen von vier ungleichen Elementen: a b c d a b d c a c b d a c d b

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/410
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/410>, abgerufen am 22.11.2024.