auf metaphysische Abwege von der Art, wie Fichte sie vielfältig durchlaufen ist.
Es ist wahr, wenn ich mich selbst betrachte, so finde ich eine Complexion von Merkmalen, deren jedes als zufällig erscheint. Alle meine empirischen Vorstel- lungen könnten fehlen, sie hängen von Lebensumständen ab; und selbst die sogenannten reinen Anschauungen und Kategorien, welche Manchen für ein ursprüngliches Ei- genthum gelten, sind doch nicht so mit meiner Ichheit ver- webt, dass ich Mich selbst allemal und nothwendig dächte als den Vorstellenden dieser Anschauungen und Kategorien. Es giebt nichts in meinem ganzen Ge- dankenkreise, das ich nicht in manchen Fällen vergässe, wenn ich mich selbst denke und empfinde.
Aber eine Complexion von lauter zufälligen Merkma- len, wenn diese alle von ihr abgesondert werden, wird unfehlbar =o. Ich sollte also mich selbst als gar Nichts denken; als einen mathematischen Punct in der Mitte der Dinge. Und gerade im Gegentheil, ich bin von meiner Existenz aufs innigste überzeugt. Dieses ge- wiss Existirende, Was ist es denn nun? -- Nachdem alles, als was ich gewohnt war Mich zu denken, ver- worfen ist, bleibt nichts übrig, als mein Wissen von mir selbst. Aber dieses Mir, wen soll es bedeuten? -- Hier wiederhohlt sich die Frage nach dem eigentlichen Objecte des Selbstbewusstseyns; wie im §. 27. umständ- licher entwickelt ist.
Ich kann daher jene Complexion der zufälligen Merk- male keinesweges ganz entbehren. Nicht nur finde ich im gemeinen Selbstbewusstseyn allemal mich selbst wirk- lich mit irgend welchen zufälligen Prädicaten behaftet, -- als denkend, handelnd, leidend, fühlend, -- sondern es muss auch so seyn; und ich würde mich sonst gar nicht finden.
Ein zweyter Punct der Täuschung liegt in der Iden- tität, welche zwischen dem Vorgestellten und dem Vor- stellenden statt haben soll. Hier wollen wir zuerst be-
II. T
auf metaphysische Abwege von der Art, wie Fichte sie vielfältig durchlaufen ist.
Es ist wahr, wenn ich mich selbst betrachte, so finde ich eine Complexion von Merkmalen, deren jedes als zufällig erscheint. Alle meine empirischen Vorstel- lungen könnten fehlen, sie hängen von Lebensumständen ab; und selbst die sogenannten reinen Anschauungen und Kategorien, welche Manchen für ein ursprüngliches Ei- genthum gelten, sind doch nicht so mit meiner Ichheit ver- webt, daſs ich Mich selbst allemal und nothwendig dächte als den Vorstellenden dieser Anschauungen und Kategorien. Es giebt nichts in meinem ganzen Ge- dankenkreise, das ich nicht in manchen Fällen vergäſse, wenn ich mich selbst denke und empfinde.
Aber eine Complexion von lauter zufälligen Merkma- len, wenn diese alle von ihr abgesondert werden, wird unfehlbar =o. Ich sollte also mich selbst als gar Nichts denken; als einen mathematischen Punct in der Mitte der Dinge. Und gerade im Gegentheil, ich bin von meiner Existenz aufs innigste überzeugt. Dieses ge- wiſs Existirende, Was ist es denn nun? — Nachdem alles, als was ich gewohnt war Mich zu denken, ver- worfen ist, bleibt nichts übrig, als mein Wissen von mir selbst. Aber dieses Mir, wen soll es bedeuten? — Hier wiederhohlt sich die Frage nach dem eigentlichen Objecte des Selbstbewuſstseyns; wie im §. 27. umständ- licher entwickelt ist.
Ich kann daher jene Complexion der zufälligen Merk- male keinesweges ganz entbehren. Nicht nur finde ich im gemeinen Selbstbewuſstseyn allemal mich selbst wirk- lich mit irgend welchen zufälligen Prädicaten behaftet, — als denkend, handelnd, leidend, fühlend, — sondern es muſs auch so seyn; und ich würde mich sonst gar nicht finden.
Ein zweyter Punct der Täuschung liegt in der Iden- tität, welche zwischen dem Vorgestellten und dem Vor- stellenden statt haben soll. Hier wollen wir zuerst be-
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auf metaphysische Abwege von der Art, wie Fichte sie
vielfältig durchlaufen ist.
Es ist wahr, wenn ich mich selbst betrachte, so
finde ich eine Complexion von Merkmalen, deren jedes
als zufällig erscheint. Alle meine empirischen Vorstel-
lungen könnten fehlen, sie hängen von Lebensumständen
ab; und selbst die sogenannten reinen Anschauungen und
Kategorien, welche Manchen für ein ursprüngliches Ei-
genthum gelten, sind doch nicht so mit meiner Ichheit ver-
webt, daſs ich Mich selbst allemal und nothwendig
dächte als den Vorstellenden dieser Anschauungen
und Kategorien. Es giebt nichts in meinem ganzen Ge-
dankenkreise, das ich nicht in manchen Fällen vergäſse,
wenn ich mich selbst denke und empfinde.
Aber eine Complexion von lauter zufälligen Merkma-
len, wenn diese alle von ihr abgesondert werden, wird
unfehlbar =o. Ich sollte also mich selbst als gar
Nichts denken; als einen mathematischen Punct in der
Mitte der Dinge. Und gerade im Gegentheil, ich bin
von meiner Existenz aufs innigste überzeugt. Dieses ge-
wiſs Existirende, Was ist es denn nun? — Nachdem
alles, als was ich gewohnt war Mich zu denken, ver-
worfen ist, bleibt nichts übrig, als mein Wissen von
mir selbst. Aber dieses Mir, wen soll es bedeuten? —
Hier wiederhohlt sich die Frage nach dem eigentlichen
Objecte des Selbstbewuſstseyns; wie im §. 27. umständ-
licher entwickelt ist.
Ich kann daher jene Complexion der zufälligen Merk-
male keinesweges ganz entbehren. Nicht nur finde ich
im gemeinen Selbstbewuſstseyn allemal mich selbst wirk-
lich mit irgend welchen zufälligen Prädicaten behaftet, —
als denkend, handelnd, leidend, fühlend, — sondern es
muſs auch so seyn; und ich würde mich sonst gar nicht
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/324>, abgerufen am 22.11.2024.
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