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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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zu bezeichnen, wovon die äussere Causalität nur das Zei-
chen ist.

Der Leitfaden, nach welchem die vier Haupt-Kate-
gorien gefunden sind, ist leicht zu entdecken. Das Em-
pfinden verhält sich zum Handeln wie Herein und Her-
aus
;
Wissen und Wollen sind Darin; doch jenes ge-
gen den Eingang, dieses gegen den Ausgang (als bevor-
stehendes Handeln) hingewendet. Die untergeordneten
Begriffe sind hier eben so wenig, als bey den obigen
Kategorien, die sich auf Dinge beziehen, vollständig an-
zugeben.

Es ist der Mühe werth, zu fragen, wofür doch die
Kategorien der innern Apperception jenen Männern gel-
ten mögen, die in den Kategorien ein ursprüngliches Ei-
genthum des Verstandes zu erblicken glauben. Etwa für
empirische Begriffe? Doch wohl nicht in dem Sinne, als
ob dieselben unmittelbar in der Erfahrung gegeben
wären? Welche Erfahrung giebt denn wohl (um nur
vom Leichtesten zu reden,) den Begriff des Sehens? --
Jedermann weiss, dass das Auge sich selbst nicht sieht.
Gerade so wenig sieht das Sehen sich selbst; es sieht
die Farbe; diese ist sein einziger Gegenstand. Oder
meint man, das Sehen werde als eine innere Handlung
wahrgenommen? Wie sieht denn diese innere
Handlung aus
? Man beschreibe doch das, was der
innere Sinn thue, oder empfange, in demselben Augen-
blick wo der äussere Sinn -- der, so viel man bemerken
kann, während des Sehens ganz allein thätig ist, -- sich
in die Farbe vertieft! Dasselbe gilt vom Hören, vom
Fühlen, und so weiter.

Wäre nun der Umstand, dass man den Ursprung
unserer Vorstellungen aus der Empfindung nicht so gar
leicht entdecken und erklären kann, schon ein zureichen-
der Grund, gewisse Begriffe für angeboren, oder für ur-
sprüngliche Formen unseres Erkenntnissvermögens zu hal-
ten: so möchte man nur immerhin den Begriff des Em-
pfindens, der unmittelbar gar nicht empfunden werden

zu bezeichnen, wovon die äuſsere Causalität nur das Zei-
chen ist.

Der Leitfaden, nach welchem die vier Haupt-Kate-
gorien gefunden sind, ist leicht zu entdecken. Das Em-
pfinden verhält sich zum Handeln wie Herein und Her-
aus
;
Wissen und Wollen sind Darin; doch jenes ge-
gen den Eingang, dieses gegen den Ausgang (als bevor-
stehendes Handeln) hingewendet. Die untergeordneten
Begriffe sind hier eben so wenig, als bey den obigen
Kategorien, die sich auf Dinge beziehen, vollständig an-
zugeben.

Es ist der Mühe werth, zu fragen, wofür doch die
Kategorien der innern Apperception jenen Männern gel-
ten mögen, die in den Kategorien ein ursprüngliches Ei-
genthum des Verstandes zu erblicken glauben. Etwa für
empirische Begriffe? Doch wohl nicht in dem Sinne, als
ob dieselben unmittelbar in der Erfahrung gegeben
wären? Welche Erfahrung giebt denn wohl (um nur
vom Leichtesten zu reden,) den Begriff des Sehens? —
Jedermann weiſs, daſs das Auge sich selbst nicht sieht.
Gerade so wenig sieht das Sehen sich selbst; es sieht
die Farbe; diese ist sein einziger Gegenstand. Oder
meint man, das Sehen werde als eine innere Handlung
wahrgenommen? Wie sieht denn diese innere
Handlung aus
? Man beschreibe doch das, was der
innere Sinn thue, oder empfange, in demselben Augen-
blick wo der äuſsere Sinn — der, so viel man bemerken
kann, während des Sehens ganz allein thätig ist, — sich
in die Farbe vertieft! Dasselbe gilt vom Hören, vom
Fühlen, und so weiter.

Wäre nun der Umstand, daſs man den Ursprung
unserer Vorstellungen aus der Empfindung nicht so gar
leicht entdecken und erklären kann, schon ein zureichen-
der Grund, gewisse Begriffe für angeboren, oder für ur-
sprüngliche Formen unseres Erkenntniſsvermögens zu hal-
ten: so möchte man nur immerhin den Begriff des Em-
pfindens, der unmittelbar gar nicht empfunden werden

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[252/0287] zu bezeichnen, wovon die äuſsere Causalität nur das Zei- chen ist. Der Leitfaden, nach welchem die vier Haupt-Kate- gorien gefunden sind, ist leicht zu entdecken. Das Em- pfinden verhält sich zum Handeln wie Herein und Her- aus; Wissen und Wollen sind Darin; doch jenes ge- gen den Eingang, dieses gegen den Ausgang (als bevor- stehendes Handeln) hingewendet. Die untergeordneten Begriffe sind hier eben so wenig, als bey den obigen Kategorien, die sich auf Dinge beziehen, vollständig an- zugeben. Es ist der Mühe werth, zu fragen, wofür doch die Kategorien der innern Apperception jenen Männern gel- ten mögen, die in den Kategorien ein ursprüngliches Ei- genthum des Verstandes zu erblicken glauben. Etwa für empirische Begriffe? Doch wohl nicht in dem Sinne, als ob dieselben unmittelbar in der Erfahrung gegeben wären? Welche Erfahrung giebt denn wohl (um nur vom Leichtesten zu reden,) den Begriff des Sehens? — Jedermann weiſs, daſs das Auge sich selbst nicht sieht. Gerade so wenig sieht das Sehen sich selbst; es sieht die Farbe; diese ist sein einziger Gegenstand. Oder meint man, das Sehen werde als eine innere Handlung wahrgenommen? Wie sieht denn diese innere Handlung aus? Man beschreibe doch das, was der innere Sinn thue, oder empfange, in demselben Augen- blick wo der äuſsere Sinn — der, so viel man bemerken kann, während des Sehens ganz allein thätig ist, — sich in die Farbe vertieft! Dasselbe gilt vom Hören, vom Fühlen, und so weiter. Wäre nun der Umstand, daſs man den Ursprung unserer Vorstellungen aus der Empfindung nicht so gar leicht entdecken und erklären kann, schon ein zureichen- der Grund, gewisse Begriffe für angeboren, oder für ur- sprüngliche Formen unseres Erkenntniſsvermögens zu hal- ten: so möchte man nur immerhin den Begriff des Em- pfindens, der unmittelbar gar nicht empfunden werden

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/287>, abgerufen am 18.05.2024.