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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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chem nunmehr dieses Buch muss übergeben
werden! Und zwar in einem Zeitpuncte, wo es
an allen Orten Psychologien und Anthropolo-
gien geregnet hat.

Dass die Schulen ihren alten Irrthum in
allerley Formen giessen, und ihm unter andern,
zur Abwechselung, einmal solche Namen geben,
die von der Seele, und vom Menschen, herge-
nommen sind, dies ist eine gleichgültige Sache.
Daher ist nicht nöthig, hier einzelne Beyspiele
anzuführen. Wiewohl, was könnte mich hin-
dern, ein paar Bücher, die mit jenen Titeln ver-
sehen sind, näher zu bezeichnen, worin die Un-
kenntniss des geistigen Thuns und Wesens sich
versteckt hinter transscendentalen Kosmogonien,
und hinter Hypothesen über den Kern der Erde?
Und ein drittes, worin die Psychologie verbo-
gen ist durch den Zweck, sie einem längst fer-
tigen Systeme, dessen Vorurtheile sollten beybe-
halten werden, als Grundlage unterzuschieben?
Und ein viertes, dessen Verfasser sich mit sei-
nem Recensenten in der unvermeidlichen Am-
phibolie der transscendentalen Freyheitslehre her-
umdreht, vermöge welcher in einem Augenblicke
der freye und der gute Wille identisch gesetzt
werden, im nächsten aber, wann man das Böse
erklären will, die Freyheit sich in ein völlig ge-
setzloses Vermögen verwandelt, welchem zwar
die Vernunft ein Gesetz vorhält, aber dergestalt,
dass der Erfolg rein zufällig bleibt. Und ein
fünftes, sechstes, siebentes, deren Verfasser zwar
mit Recht auf die Seite durchgängiger Naturord-
nung treten, aber keinen Begriff haben von gei-
stiger
Natur, nichts kennen als Materie, und

chem nunmehr dieses Buch muſs übergeben
werden! Und zwar in einem Zeitpuncte, wo es
an allen Orten Psychologien und Anthropolo-
gien geregnet hat.

Daſs die Schulen ihren alten Irrthum in
allerley Formen gieſsen, und ihm unter andern,
zur Abwechselung, einmal solche Namen geben,
die von der Seele, und vom Menschen, herge-
nommen sind, dies ist eine gleichgültige Sache.
Daher ist nicht nöthig, hier einzelne Beyspiele
anzuführen. Wiewohl, was könnte mich hin-
dern, ein paar Bücher, die mit jenen Titeln ver-
sehen sind, näher zu bezeichnen, worin die Un-
kenntniſs des geistigen Thuns und Wesens sich
versteckt hinter transscendentalen Kosmogonien,
und hinter Hypothesen über den Kern der Erde?
Und ein drittes, worin die Psychologie verbo-
gen ist durch den Zweck, sie einem längst fer-
tigen Systeme, dessen Vorurtheile sollten beybe-
halten werden, als Grundlage unterzuschieben?
Und ein viertes, dessen Verfasser sich mit sei-
nem Recensenten in der unvermeidlichen Am-
phibolie der transscendentalen Freyheitslehre her-
umdreht, vermöge welcher in einem Augenblicke
der freye und der gute Wille identisch gesetzt
werden, im nächsten aber, wann man das Böse
erklären will, die Freyheit sich in ein völlig ge-
setzloses Vermögen verwandelt, welchem zwar
die Vernunft ein Gesetz vorhält, aber dergestalt,
daſs der Erfolg rein zufällig bleibt. Und ein
fünftes, sechstes, siebentes, deren Verfasser zwar
mit Recht auf die Seite durchgängiger Naturord-
nung treten, aber keinen Begriff haben von gei-
stiger
Natur, nichts kennen als Materie, und

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[XIII/0020] chem nunmehr dieses Buch muſs übergeben werden! Und zwar in einem Zeitpuncte, wo es an allen Orten Psychologien und Anthropolo- gien geregnet hat. Daſs die Schulen ihren alten Irrthum in allerley Formen gieſsen, und ihm unter andern, zur Abwechselung, einmal solche Namen geben, die von der Seele, und vom Menschen, herge- nommen sind, dies ist eine gleichgültige Sache. Daher ist nicht nöthig, hier einzelne Beyspiele anzuführen. Wiewohl, was könnte mich hin- dern, ein paar Bücher, die mit jenen Titeln ver- sehen sind, näher zu bezeichnen, worin die Un- kenntniſs des geistigen Thuns und Wesens sich versteckt hinter transscendentalen Kosmogonien, und hinter Hypothesen über den Kern der Erde? Und ein drittes, worin die Psychologie verbo- gen ist durch den Zweck, sie einem längst fer- tigen Systeme, dessen Vorurtheile sollten beybe- halten werden, als Grundlage unterzuschieben? Und ein viertes, dessen Verfasser sich mit sei- nem Recensenten in der unvermeidlichen Am- phibolie der transscendentalen Freyheitslehre her- umdreht, vermöge welcher in einem Augenblicke der freye und der gute Wille identisch gesetzt werden, im nächsten aber, wann man das Böse erklären will, die Freyheit sich in ein völlig ge- setzloses Vermögen verwandelt, welchem zwar die Vernunft ein Gesetz vorhält, aber dergestalt, daſs der Erfolg rein zufällig bleibt. Und ein fünftes, sechstes, siebentes, deren Verfasser zwar mit Recht auf die Seite durchgängiger Naturord- nung treten, aber keinen Begriff haben von gei- stiger Natur, nichts kennen als Materie, und

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/20>, abgerufen am 25.04.2024.