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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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treibung giebt. Und doch, wie leicht wäre es,
einen überspannten Theismus aufzustellen, aus
welchem sich geradezu ergäbe: eine solche Sin-
nenwelt, wie die unsrige, mit ihrer Zeitlichkeit,
Vergänglichkeit, Schwäche, mit ihrem unsichern,
von Manchen ganz abgeleugneten Fortschritte
zum Bessern, -- der, wenn er auch geschieht,
doch nur allmählig, vielfach unterbrochen, mit
steter Gefahr der Rückfälle, zu Stande kommt,
und niemals vollbracht wird, -- könne gar nicht
existiren; dürfe nicht einmal in der Erscheinung
vorkommen. Denn die Allmacht und Weisheit,
ganz abgewendet vom Todten und vom Schlech-
ten, schaffe nur vollkommen reine Geister; auch
diesen aber lasse sie nichts übrig zu thun; in-
dem sie nichts Fehlendes dulde, vielmehr alles
selbst vollbringe, damit es richtig vollbracht
werde. -- Ein solcher Theismus ist consequent!
Aber wachend kann man ihn nicht vesthalten;
denn es ist das Wesen des Wachens, dass man
empfänglich sey für die Erfahrung; die ihn wi-
derlegt. Eben so leicht nun kann es geschehen,
dass man die Schöpfung und Erhaltung der Welt
so stark sublimire, bis die Welt sich von ihrem
Urheber nicht mehr sondern lässt. Sind die
Dinge nichts ohne ihn, so verliert in Hinsicht
ihrer, (wie Des-Cartes bemerkte) das Wort
Substanz seinen wahren Sinn. Man braucht
alsdann nur noch, mit Spinoza, denselben Ge-
danken anders auszusprechen: so ist Gott
die einzige Substanz. Folglich sind die Dinge
nur eine Form seines Daseyns; und aus der
Weltschöpfung wird eine blosse Umwandlung
des einzig wahren Seyns. Dahin ging ganz und

treibung giebt. Und doch, wie leicht wäre es,
einen überspannten Theismus aufzustellen, aus
welchem sich geradezu ergäbe: eine solche Sin-
nenwelt, wie die unsrige, mit ihrer Zeitlichkeit,
Vergänglichkeit, Schwäche, mit ihrem unsichern,
von Manchen ganz abgeleugneten Fortschritte
zum Bessern, — der, wenn er auch geschieht,
doch nur allmählig, vielfach unterbrochen, mit
steter Gefahr der Rückfälle, zu Stande kommt,
und niemals vollbracht wird, — könne gar nicht
existiren; dürfe nicht einmal in der Erscheinung
vorkommen. Denn die Allmacht und Weisheit,
ganz abgewendet vom Todten und vom Schlech-
ten, schaffe nur vollkommen reine Geister; auch
diesen aber lasse sie nichts übrig zu thun; in-
dem sie nichts Fehlendes dulde, vielmehr alles
selbst vollbringe, damit es richtig vollbracht
werde. — Ein solcher Theismus ist consequent!
Aber wachend kann man ihn nicht vesthalten;
denn es ist das Wesen des Wachens, daſs man
empfänglich sey für die Erfahrung; die ihn wi-
derlegt. Eben so leicht nun kann es geschehen,
daſs man die Schöpfung und Erhaltung der Welt
so stark sublimire, bis die Welt sich von ihrem
Urheber nicht mehr sondern läſst. Sind die
Dinge nichts ohne ihn, so verliert in Hinsicht
ihrer, (wie Des-Cartes bemerkte) das Wort
Substanz seinen wahren Sinn. Man braucht
alsdann nur noch, mit Spinoza, denselben Ge-
danken anders auszusprechen: so ist Gott
die einzige Substanz. Folglich sind die Dinge
nur eine Form seines Daseyns; und aus der
Weltschöpfung wird eine bloſse Umwandlung
des einzig wahren Seyns. Dahin ging ganz und

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[VI/0013] treibung giebt. Und doch, wie leicht wäre es, einen überspannten Theismus aufzustellen, aus welchem sich geradezu ergäbe: eine solche Sin- nenwelt, wie die unsrige, mit ihrer Zeitlichkeit, Vergänglichkeit, Schwäche, mit ihrem unsichern, von Manchen ganz abgeleugneten Fortschritte zum Bessern, — der, wenn er auch geschieht, doch nur allmählig, vielfach unterbrochen, mit steter Gefahr der Rückfälle, zu Stande kommt, und niemals vollbracht wird, — könne gar nicht existiren; dürfe nicht einmal in der Erscheinung vorkommen. Denn die Allmacht und Weisheit, ganz abgewendet vom Todten und vom Schlech- ten, schaffe nur vollkommen reine Geister; auch diesen aber lasse sie nichts übrig zu thun; in- dem sie nichts Fehlendes dulde, vielmehr alles selbst vollbringe, damit es richtig vollbracht werde. — Ein solcher Theismus ist consequent! Aber wachend kann man ihn nicht vesthalten; denn es ist das Wesen des Wachens, daſs man empfänglich sey für die Erfahrung; die ihn wi- derlegt. Eben so leicht nun kann es geschehen, daſs man die Schöpfung und Erhaltung der Welt so stark sublimire, bis die Welt sich von ihrem Urheber nicht mehr sondern läſst. Sind die Dinge nichts ohne ihn, so verliert in Hinsicht ihrer, (wie Des-Cartes bemerkte) das Wort Substanz seinen wahren Sinn. Man braucht alsdann nur noch, mit Spinoza, denselben Ge- danken anders auszusprechen: so ist Gott die einzige Substanz. Folglich sind die Dinge nur eine Form seines Daseyns; und aus der Weltschöpfung wird eine bloſse Umwandlung des einzig wahren Seyns. Dahin ging ganz und

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/13>, abgerufen am 19.04.2024.