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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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scheint, wird doch noch ein Gefühl der Zuneigung für
den vaterländischen Boden, oder eine Abneigung gegen
den fremden, in sich haben können, welches in das Ge-
fühl der Krieg-Führung sich zwar einmischt, so lange
der Krieg dauert, aber früher entstand und später nach-
bleibt. -- Die Unterscheidung, welche wir hier gemacht
haben, bietet uns eine sehr wichtige Analogie dar für
das Folgende.

B. Den äussern Hemmungen in der Gesell-
schaft ähnlich sind die inneren zwischen den
verschiedenen Vorstellungsmassen
. Hier gehe
man zurück zu der, in der Einleitung gegebenen, vor-
läufigen Analyse der Vernunft. Man vergegenwärtige
sich den Zustand der Ueberlegung. Es sey z. B. ein
ungerechter Angriff abzuwehren. Soll es mit Worten,
soll es mit Gewalt geschehen? Was ist zu hoffen von
der Gewalt? Wird sie nicht die Kräfte des Gegners
noch mehr concentriren und spannen? Was ist zu er-
langen durch Worte? Lässt sich der Gegner versöhnen?
Kann man sogar den Feind umschaffen in den Freund?
Könnte man ihn vielleicht bloss durch Satyre demüthi-
gen? Könnte man ihn durch Grossmuth beschämen?
Oder ist es rathsamer, ihn zu beschäfftigen, ihm ander-
wärts zu thun zu geben, seine Hülfsmittel zu theilen, ihn
in neue Feindschaften zu verwickeln, ihm Freundschaft
zu heucheln, und alsdann mit Arglist und Trug ihn im
Netze zu fangen? -- Aber hier erhebt sich das mora-
lische Urtheil; und in die Ueberlegung mischt sich der
Schreck! Konnte ein so schändlicher Gedanke in mir
aufsteigen? Bin ich ein Neuling, ein Schwächling im
Dienste der Tugend, so sehr, dass die ersten Grund-
sätze des ehrlichen Mannes in mir wanken? Welche
Abwesenheit des Geistes? Wohin könnte sie führen!
Zurück zu andern Gedanken, andern Mitteln, Auswegen,
Plänen! Sie müssen sicher, kräftig, aber tadelfrey, schick-
lich, würdig seyn, und vor allen Dingen den Streit nicht
noch mehr aufregen, sondern ihn möglichst besänftigen. --

II. F

scheint, wird doch noch ein Gefühl der Zuneigung für
den vaterländischen Boden, oder eine Abneigung gegen
den fremden, in sich haben können, welches in das Ge-
fühl der Krieg-Führung sich zwar einmischt, so lange
der Krieg dauert, aber früher entstand und später nach-
bleibt. — Die Unterscheidung, welche wir hier gemacht
haben, bietet uns eine sehr wichtige Analogie dar für
das Folgende.

B. Den äuſsern Hemmungen in der Gesell-
schaft ähnlich sind die inneren zwischen den
verschiedenen Vorstellungsmassen
. Hier gehe
man zurück zu der, in der Einleitung gegebenen, vor-
läufigen Analyse der Vernunft. Man vergegenwärtige
sich den Zustand der Ueberlegung. Es sey z. B. ein
ungerechter Angriff abzuwehren. Soll es mit Worten,
soll es mit Gewalt geschehen? Was ist zu hoffen von
der Gewalt? Wird sie nicht die Kräfte des Gegners
noch mehr concentriren und spannen? Was ist zu er-
langen durch Worte? Läſst sich der Gegner versöhnen?
Kann man sogar den Feind umschaffen in den Freund?
Könnte man ihn vielleicht bloſs durch Satyre demüthi-
gen? Könnte man ihn durch Groſsmuth beschämen?
Oder ist es rathsamer, ihn zu beschäfftigen, ihm ander-
wärts zu thun zu geben, seine Hülfsmittel zu theilen, ihn
in neue Feindschaften zu verwickeln, ihm Freundschaft
zu heucheln, und alsdann mit Arglist und Trug ihn im
Netze zu fangen? — Aber hier erhebt sich das mora-
lische Urtheil; und in die Ueberlegung mischt sich der
Schreck! Konnte ein so schändlicher Gedanke in mir
aufsteigen? Bin ich ein Neuling, ein Schwächling im
Dienste der Tugend, so sehr, daſs die ersten Grund-
sätze des ehrlichen Mannes in mir wanken? Welche
Abwesenheit des Geistes? Wohin könnte sie führen!
Zurück zu andern Gedanken, andern Mitteln, Auswegen,
Plänen! Sie müssen sicher, kräftig, aber tadelfrey, schick-
lich, würdig seyn, und vor allen Dingen den Streit nicht
noch mehr aufregen, sondern ihn möglichst besänftigen. —

II. F
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[81/0116] scheint, wird doch noch ein Gefühl der Zuneigung für den vaterländischen Boden, oder eine Abneigung gegen den fremden, in sich haben können, welches in das Ge- fühl der Krieg-Führung sich zwar einmischt, so lange der Krieg dauert, aber früher entstand und später nach- bleibt. — Die Unterscheidung, welche wir hier gemacht haben, bietet uns eine sehr wichtige Analogie dar für das Folgende. B. Den äuſsern Hemmungen in der Gesell- schaft ähnlich sind die inneren zwischen den verschiedenen Vorstellungsmassen. Hier gehe man zurück zu der, in der Einleitung gegebenen, vor- läufigen Analyse der Vernunft. Man vergegenwärtige sich den Zustand der Ueberlegung. Es sey z. B. ein ungerechter Angriff abzuwehren. Soll es mit Worten, soll es mit Gewalt geschehen? Was ist zu hoffen von der Gewalt? Wird sie nicht die Kräfte des Gegners noch mehr concentriren und spannen? Was ist zu er- langen durch Worte? Läſst sich der Gegner versöhnen? Kann man sogar den Feind umschaffen in den Freund? Könnte man ihn vielleicht bloſs durch Satyre demüthi- gen? Könnte man ihn durch Groſsmuth beschämen? Oder ist es rathsamer, ihn zu beschäfftigen, ihm ander- wärts zu thun zu geben, seine Hülfsmittel zu theilen, ihn in neue Feindschaften zu verwickeln, ihm Freundschaft zu heucheln, und alsdann mit Arglist und Trug ihn im Netze zu fangen? — Aber hier erhebt sich das mora- lische Urtheil; und in die Ueberlegung mischt sich der Schreck! Konnte ein so schändlicher Gedanke in mir aufsteigen? Bin ich ein Neuling, ein Schwächling im Dienste der Tugend, so sehr, daſs die ersten Grund- sätze des ehrlichen Mannes in mir wanken? Welche Abwesenheit des Geistes? Wohin könnte sie führen! Zurück zu andern Gedanken, andern Mitteln, Auswegen, Plänen! Sie müssen sicher, kräftig, aber tadelfrey, schick- lich, würdig seyn, und vor allen Dingen den Streit nicht noch mehr aufregen, sondern ihn möglichst besänftigen. — II. F

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/116>, abgerufen am 03.05.2024.