chen müssen, den wir zu verarbeiten haben, bis die Wi- dersprüche (deren er noch mehrere in sich trägt) ver- schwinden werden. Weil aber Herr Fries mit seiner Polemik gegen Fichte nicht zu Ende gekommen ist: darum lässt er von dem reinen Selbstbewusstseyn noch das unbestimmte Gefühl stehen; darum auch redet er von einem Bewusstseyn des Gegenstandes, nicht wie er ist, sondern dass er ist. Dieser Widersinn einer Rea- lität ohne Qualität, ist aber eben so wenig eine Wahr- heit, als er eine Behauptung des Herrn Fries seyn würde, wenn derselbe den Muth gehabt hätte, dem Pro- bleme gerade ins Gesicht zu schauen, und, alle Halbhei- ten und Ausflüchte bey Seite setzend, das Unding, wel- ches der Begriff des Ich uns vorspiegelt, so ernstlich an- zufassen, wie man es fassen muss, um es zu zerstören.
Weiterhin mischt sich nun bey Herrn Fries die Erdichtung des innern Sinnes und einer Empfänglichkeit desselben, mit richtigen Ahndungen von dem Gedächtniss, und mit dem völlig wahren Satze: die Vorstellungen im Gemüthe werden von selbst fortdauern, bis sie durch etwas anderes verdrängt werden. Eben so wahr ist der §. 51., nach welchem der allgemeine Grund der Association in der Einheit des Subjects und seiner Thätigkeit enthalten ist. Neben so richtigen Ansichten hätte die transscendentale Einbildungskraft (§. 57.) ver- schwinden sollen, die abermals erdichtet wird, damit die, für ursprünglich gehaltenen, formalen Anschauungen, zur Erkenntniss (soll heissen: zur Materie der Empfindung, welche allerdings die formalen Bestimmungen keineswe- ges in sich schliesst) hinzukommen mögen. Der Kantia- nismus aber, als Gewöhnung an ein System, mit Ueber- gehung ganz nahe gelegter Fragen, welche die Ruhe der angenommenen Meinungen hätten stören sollen, zeigt sich auffallend beym §. 59--62.; wo die figürliche synthetische Einheit als Erfolg der Selbstthätigkeit beschrieben wird, während die Gegenstände in der Anschauung uns unter der Bedingung einer jederzeit möglichen Con-
chen müssen, den wir zu verarbeiten haben, bis die Wi- dersprüche (deren er noch mehrere in sich trägt) ver- schwinden werden. Weil aber Herr Fries mit seiner Polemik gegen Fichte nicht zu Ende gekommen ist: darum läſst er von dem reinen Selbstbewuſstseyn noch das unbestimmte Gefühl stehen; darum auch redet er von einem Bewuſstseyn des Gegenstandes, nicht wie er ist, sondern daſs er ist. Dieser Widersinn einer Rea- lität ohne Qualität, ist aber eben so wenig eine Wahr- heit, als er eine Behauptung des Herrn Fries seyn würde, wenn derselbe den Muth gehabt hätte, dem Pro- bleme gerade ins Gesicht zu schauen, und, alle Halbhei- ten und Ausflüchte bey Seite setzend, das Unding, wel- ches der Begriff des Ich uns vorspiegelt, so ernstlich an- zufassen, wie man es fassen muſs, um es zu zerstören.
Weiterhin mischt sich nun bey Herrn Fries die Erdichtung des innern Sinnes und einer Empfänglichkeit desselben, mit richtigen Ahndungen von dem Gedächtniſs, und mit dem völlig wahren Satze: die Vorstellungen im Gemüthe werden von selbst fortdauern, bis sie durch etwas anderes verdrängt werden. Eben so wahr ist der §. 51., nach welchem der allgemeine Grund der Association in der Einheit des Subjects und seiner Thätigkeit enthalten ist. Neben so richtigen Ansichten hätte die transscendentale Einbildungskraft (§. 57.) ver- schwinden sollen, die abermals erdichtet wird, damit die, für ursprünglich gehaltenen, formalen Anschauungen, zur Erkenntniſs (soll heiſsen: zur Materie der Empfindung, welche allerdings die formalen Bestimmungen keineswe- ges in sich schlieſst) hinzukommen mögen. Der Kantia- nismus aber, als Gewöhnung an ein System, mit Ueber- gehung ganz nahe gelegter Fragen, welche die Ruhe der angenommenen Meinungen hätten stören sollen, zeigt sich auffallend beym §. 59—62.; wo die figürliche synthetische Einheit als Erfolg der Selbstthätigkeit beschrieben wird, während die Gegenstände in der Anschauung uns unter der Bedingung einer jederzeit möglichen Con-
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chen müssen, den wir zu verarbeiten haben, bis die Wi-
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Polemik gegen Fichte nicht zu Ende gekommen ist:
darum läſst er von dem reinen Selbstbewuſstseyn noch
das unbestimmte Gefühl stehen; darum auch redet er
von einem Bewuſstseyn des Gegenstandes, nicht wie er
ist, sondern daſs er ist. Dieser Widersinn einer Rea-
lität ohne Qualität, ist aber eben so wenig eine Wahr-
heit, als er eine Behauptung des Herrn Fries seyn
würde, wenn derselbe den Muth gehabt hätte, dem Pro-
bleme gerade ins Gesicht zu schauen, und, alle Halbhei-
ten und Ausflüchte bey Seite setzend, das Unding, wel-
ches der Begriff des Ich uns vorspiegelt, so ernstlich an-
zufassen, wie man es fassen muſs, um es zu zerstören.
Weiterhin mischt sich nun bey Herrn Fries die
Erdichtung des innern Sinnes und einer Empfänglichkeit
desselben, mit richtigen Ahndungen von dem Gedächtniſs,
und mit dem völlig wahren Satze: die Vorstellungen
im Gemüthe werden von selbst fortdauern, bis
sie durch etwas anderes verdrängt werden. Eben
so wahr ist der §. 51., nach welchem der allgemeine Grund
der Association in der Einheit des Subjects und seiner
Thätigkeit enthalten ist. Neben so richtigen Ansichten
hätte die transscendentale Einbildungskraft (§. 57.) ver-
schwinden sollen, die abermals erdichtet wird, damit die,
für ursprünglich gehaltenen, formalen Anschauungen, zur
Erkenntniſs (soll heiſsen: zur Materie der Empfindung,
welche allerdings die formalen Bestimmungen keineswe-
ges in sich schlieſst) hinzukommen mögen. Der Kantia-
nismus aber, als Gewöhnung an ein System, mit Ueber-
gehung ganz nahe gelegter Fragen, welche die Ruhe der
angenommenen Meinungen hätten stören sollen, zeigt sich
auffallend beym §. 59—62.; wo die figürliche synthetische
Einheit als Erfolg der Selbstthätigkeit beschrieben wird,
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/88>, abgerufen am 22.11.2024.
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