mungen, die dem Gemüth als einer Einheit zugeschrie- ben werden; dadurch rufen sie die allgemeine Frage her- bey, wiefern überhaupt Mehreres Einem zukom- men könne? und diese Frage wird durch die Lehre von der Substanz entschieden. Ferner ist alles innerlich Wahr- genommene im beständigen Kommen und Gehen begrif- fen, es bezeichnet veränderliche Zustände des Gemüths; dadurch gehört es in das Gebiet des Veränderlichen überhaupt, und die Theorie der Veränderung wird da- bey unentbehrlich.
Wie nun Jemand die Möglichkeit der Veränderung sich denkt; ob er sie aus äussern Gründen, oder aus in- neren, durch Selbstbestimmung, erklärt, oder ob er ein ab- solutes Werden annimmt *): dieses entscheidet über die möglichen psychologischen Vorstellungsarten, denen er zugänglich ist. Eben so ist es mit den angenommenen Meinungen über die Substanz.
Deshalb ist es völlig vergeblich, Jemanden für eine Psychologie gewinnen zu wollen, die seinen metaphysi- schen Vorstellungsarten widerstreitet; es sey denn, dass man seine Metaphysik zugleich mit umbilden könne. Dür- fen aber die Seelenlehrer, welche durch blosse Erfahrung sich berechtigt halten, die metaphysischen Begriffe von Vermögen, Kräften, Thätigkeiten anzuwenden, um dem Gemüth eine Mehrheit davon beyzulegen, dürfen sie erwar- ten, denjenigen zu überzeugen, der eine Metaphysik ent- weder hat, oder auch nur für nöthig hält darnach me- thodisch zu suchen? Es werden weiterhin historische Beyspiele vorkommen, welche dies erläutern können.
§. 16.
Ausser dem richtigen Verhältniss der Psychologie zur allgemeinen Metaphysik muss auch noch ein scheinbares in Betracht gezogen werden; eben dasjenige, welches die
*) Vergl. mein Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, Abschn. 4, Cap. 2.
mungen, die dem Gemüth als einer Einheit zugeschrie- ben werden; dadurch rufen sie die allgemeine Frage her- bey, wiefern überhaupt Mehreres Einem zukom- men könne? und diese Frage wird durch die Lehre von der Substanz entschieden. Ferner ist alles innerlich Wahr- genommene im beständigen Kommen und Gehen begrif- fen, es bezeichnet veränderliche Zustände des Gemüths; dadurch gehört es in das Gebiet des Veränderlichen überhaupt, und die Theorie der Veränderung wird da- bey unentbehrlich.
Wie nun Jemand die Möglichkeit der Veränderung sich denkt; ob er sie aus äuſsern Gründen, oder aus in- neren, durch Selbstbestimmung, erklärt, oder ob er ein ab- solutes Werden annimmt *): dieses entscheidet über die möglichen psychologischen Vorstellungsarten, denen er zugänglich ist. Eben so ist es mit den angenommenen Meinungen über die Substanz.
Deshalb ist es völlig vergeblich, Jemanden für eine Psychologie gewinnen zu wollen, die seinen metaphysi- schen Vorstellungsarten widerstreitet; es sey denn, daſs man seine Metaphysik zugleich mit umbilden könne. Dür- fen aber die Seelenlehrer, welche durch bloſse Erfahrung sich berechtigt halten, die metaphysischen Begriffe von Vermögen, Kräften, Thätigkeiten anzuwenden, um dem Gemüth eine Mehrheit davon beyzulegen, dürfen sie erwar- ten, denjenigen zu überzeugen, der eine Metaphysik ent- weder hat, oder auch nur für nöthig hält darnach me- thodisch zu suchen? Es werden weiterhin historische Beyspiele vorkommen, welche dies erläutern können.
§. 16.
Auſser dem richtigen Verhältniſs der Psychologie zur allgemeinen Metaphysik muſs auch noch ein scheinbares in Betracht gezogen werden; eben dasjenige, welches die
*) Vergl. mein Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, Abschn. 4, Cap. 2.
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mungen, die dem Gemüth als einer Einheit zugeschrie-
ben werden; dadurch rufen sie die allgemeine Frage her-
bey, wiefern überhaupt Mehreres Einem zukom-
men könne? und diese Frage wird durch die Lehre von
der Substanz entschieden. Ferner ist alles innerlich Wahr-
genommene im beständigen Kommen und Gehen begrif-
fen, es bezeichnet veränderliche Zustände des Gemüths;
dadurch gehört es in das Gebiet des Veränderlichen
überhaupt, und die Theorie der Veränderung wird da-
bey unentbehrlich.
Wie nun Jemand die Möglichkeit der Veränderung
sich denkt; ob er sie aus äuſsern Gründen, oder aus in-
neren, durch Selbstbestimmung, erklärt, oder ob er ein ab-
solutes Werden annimmt *): dieses entscheidet über die
möglichen psychologischen Vorstellungsarten, denen er
zugänglich ist. Eben so ist es mit den angenommenen
Meinungen über die Substanz.
Deshalb ist es völlig vergeblich, Jemanden für eine
Psychologie gewinnen zu wollen, die seinen metaphysi-
schen Vorstellungsarten widerstreitet; es sey denn, daſs
man seine Metaphysik zugleich mit umbilden könne. Dür-
fen aber die Seelenlehrer, welche durch bloſse Erfahrung
sich berechtigt halten, die metaphysischen Begriffe von
Vermögen, Kräften, Thätigkeiten anzuwenden, um dem
Gemüth eine Mehrheit davon beyzulegen, dürfen sie erwar-
ten, denjenigen zu überzeugen, der eine Metaphysik ent-
weder hat, oder auch nur für nöthig hält darnach me-
thodisch zu suchen? Es werden weiterhin historische
Beyspiele vorkommen, welche dies erläutern können.
§. 16.
Auſser dem richtigen Verhältniſs der Psychologie zur
allgemeinen Metaphysik muſs auch noch ein scheinbares
in Betracht gezogen werden; eben dasjenige, welches die
*) Vergl. mein Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie,
Abschn. 4, Cap. 2.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/60>, abgerufen am 24.11.2024.
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