Befinden sich nun die Vorstellungsreihen im Zu- stande der Involution (und das ist immer der Fall, wenn nicht ein besonderer Grund zu ihrer hinlänglichen Auf- regung wirkt), so ist die Mehrheit und Verschiedenheit ihrer Glieder unbemerkbar; sie gelten alsdann für Ein- heiten, wie z. B. die Vorstellung eines Buches, eines Flusses, eines Beweises; wo die Mannigfaltigkeit der Beyspiele deutlich zeigt, dass aus der Lehre von der In- volution sich Folgerungen ergeben müssen, die an ganz verschiedene Orte des analytischen Theils hinzuweisen sind. Es ist übrigens von selbst klar, dass unsre Vor- stellung eines Buchs nichts anderes enthält, als die ein- zelnen Vorstellungen von dem, was auf den verschiede- nen Blättern desselben nach einander zu lesen steht, sammt der entsprechenden Reihe von Gedanken und Gefühlen während des Lesens; und so auch in den an- dern Beyspielen, die man ohne Mühe vervielfältigen kann. Man denke nun an eine Bibliothek, eine Stromkarte, und eine systematische Theorie; so wird man sogleich ge- wahr, dass hier Bücher, Flüsse, Beweise, wiederum ein- zelne Glieder von Reihen und von Geweben aus diesen Reihen geworden sind; gerade so, wie, noch weiter fort- schreitend, wir einer Bibliothek einen Platz in der Reihe der Merkwürdigkeiten einer Stadt anweisen.
B. Wölbung und Zuspitzung der reprodu- cirten Vorstellungen. Was ich durch diese figür- lichen Ausdrücke bezeichne, das hat einen noch viel grö- ssern Umfang als das Vorige, und ist in der Erfahrung nicht so leicht aufzufinden. Man erkennt es jedoch an dem so wichtigen Unterschiede der schärfern oder stum- pferen Auffassungen, von denen der Grad der Bestimmt- heit im Wahrnehmen und im Denken abhängt. Um von der synthetischen Seite her den Gegenstand deutlich zu machen, wollen wir uns fürs erste zurückversetzen zu ganz einfachen Vorstellungen, etwa zum Hören eines Tons, oder zum Sehen einer Farbe; die Anwendung auf die Vorstellungsreihen wird alsdann leicht seyn.
Befinden sich nun die Vorstellungsreihen im Zu- stande der Involution (und das ist immer der Fall, wenn nicht ein besonderer Grund zu ihrer hinlänglichen Auf- regung wirkt), so ist die Mehrheit und Verschiedenheit ihrer Glieder unbemerkbar; sie gelten alsdann für Ein- heiten, wie z. B. die Vorstellung eines Buches, eines Flusses, eines Beweises; wo die Mannigfaltigkeit der Beyspiele deutlich zeigt, daſs aus der Lehre von der In- volution sich Folgerungen ergeben müssen, die an ganz verschiedene Orte des analytischen Theils hinzuweisen sind. Es ist übrigens von selbst klar, daſs unsre Vor- stellung eines Buchs nichts anderes enthält, als die ein- zelnen Vorstellungen von dem, was auf den verschiede- nen Blättern desselben nach einander zu lesen steht, sammt der entsprechenden Reihe von Gedanken und Gefühlen während des Lesens; und so auch in den an- dern Beyspielen, die man ohne Mühe vervielfältigen kann. Man denke nun an eine Bibliothek, eine Stromkarte, und eine systematische Theorie; so wird man sogleich ge- wahr, daſs hier Bücher, Flüsse, Beweise, wiederum ein- zelne Glieder von Reihen und von Geweben aus diesen Reihen geworden sind; gerade so, wie, noch weiter fort- schreitend, wir einer Bibliothek einen Platz in der Reihe der Merkwürdigkeiten einer Stadt anweisen.
B. Wölbung und Zuspitzung der reprodu- cirten Vorstellungen. Was ich durch diese figür- lichen Ausdrücke bezeichne, das hat einen noch viel grö- ſsern Umfang als das Vorige, und ist in der Erfahrung nicht so leicht aufzufinden. Man erkennt es jedoch an dem so wichtigen Unterschiede der schärfern oder stum- pferen Auffassungen, von denen der Grad der Bestimmt- heit im Wahrnehmen und im Denken abhängt. Um von der synthetischen Seite her den Gegenstand deutlich zu machen, wollen wir uns fürs erste zurückversetzen zu ganz einfachen Vorstellungen, etwa zum Hören eines Tons, oder zum Sehen einer Farbe; die Anwendung auf die Vorstellungsreihen wird alsdann leicht seyn.
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Befinden sich nun die Vorstellungsreihen im Zu-
stande der Involution (und das ist immer der Fall, wenn
nicht ein besonderer Grund zu ihrer hinlänglichen Auf-
regung wirkt), so ist die Mehrheit und Verschiedenheit
ihrer Glieder unbemerkbar; sie gelten alsdann für Ein-
heiten, wie z. B. die Vorstellung eines Buches, eines
Flusses, eines Beweises; wo die Mannigfaltigkeit der
Beyspiele deutlich zeigt, daſs aus der Lehre von der In-
volution sich Folgerungen ergeben müssen, die an ganz
verschiedene Orte des analytischen Theils hinzuweisen
sind. Es ist übrigens von selbst klar, daſs unsre Vor-
stellung eines Buchs nichts anderes enthält, als die ein-
zelnen Vorstellungen von dem, was auf den verschiede-
nen Blättern desselben nach einander zu lesen steht,
sammt der entsprechenden Reihe von Gedanken und
Gefühlen während des Lesens; und so auch in den an-
dern Beyspielen, die man ohne Mühe vervielfältigen kann.
Man denke nun an eine Bibliothek, eine Stromkarte, und
eine systematische Theorie; so wird man sogleich ge-
wahr, daſs hier Bücher, Flüsse, Beweise, wiederum ein-
zelne Glieder von Reihen und von Geweben aus diesen
Reihen geworden sind; gerade so, wie, noch weiter fort-
schreitend, wir einer Bibliothek einen Platz in der Reihe
der Merkwürdigkeiten einer Stadt anweisen.
B. Wölbung und Zuspitzung der reprodu-
cirten Vorstellungen. Was ich durch diese figür-
lichen Ausdrücke bezeichne, das hat einen noch viel grö-
ſsern Umfang als das Vorige, und ist in der Erfahrung
nicht so leicht aufzufinden. Man erkennt es jedoch an
dem so wichtigen Unterschiede der schärfern oder stum-
pferen Auffassungen, von denen der Grad der Bestimmt-
heit im Wahrnehmen und im Denken abhängt. Um von
der synthetischen Seite her den Gegenstand deutlich zu
machen, wollen wir uns fürs erste zurückversetzen zu
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/385>, abgerufen am 22.11.2024.
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