Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht die engste Gränze, worin die Abänderung des Hem-
mungs-Verhältnisses durch die Verschmelzung vor der
Hemmung, muss eingeschlossen werden.

Die Vorstellungen sind ursprünglich unverschmolzen.
Wenn sie nun auch einander nahe genug, oder gleich-
artig genug, sind, damit nicht, nach der eben geführten
Rechnung, die Energie des Verschmelzens gänzlich über-
wunden werde von dem entgegengesetzten Eigenthümli-
chen einer jeden einzelnen Vorstellung: so fragt es sich
dennoch, ob irgend etwas von wirklicher Verschmelzung
zu Stande kommen könne? Dazu gehört, dass die Ener-
gie der Gleichartigkeit, welche ursprünglich in beyden
Vorstellungen nur Eine ist, sich in zwey gleiche Kräfte
theile. Denn sie muss die eine Vorstellung mit der an-
dern, und auch die andere mit jener, verschmelzen.

Nun sind aber die Vorstellungen nicht einerley; und
es kann auch in keiner von beyden das Gleichartige vom
Entgegengesetzten wirklich losgerissen werden, um sich
mit der andern zu vereinigen. Also bleibt nichts übrig,
als dass mit jeder von beyden sich die andre in einem
gewissen, beschränkten Grade verbinde. Jede einzelne
Vorstellung wird gleichsam ein Subject, mit welchem sich
die andre, so weit sie kann, als Prädicat vereinigen soll.
Demnach giebt es nicht eine, sondern zwey Verknüpfun-
gen; und die eine, verschmelzende Kraft theilt sich nicht
bloss in zwey Kräfte, sondern diese beyden Kräfte sind
auch unter einander in vollem Widerstreite, in so fern
sie auf umgekehrte Weise eine der beyden Vorstellun-
gen als eine solche setzen, mit welcher die andre un-
vollkommen verbunden werde. Fragt man aber, wie sich
die eine, verschmelzende Kraft theilen könne? so ist die
Antwort: sie liegt ursprünglich eben so wohl in der ei-
nen als in der andern der beyden Vorstellungen, da zur
Gleichheit derselben gewiss beyde nöthig sind; und nur
in ihren beyden Aeusserungen ist sie mit sich selbst im
Streite. -- In dieser Beziehung sind nun offenbar vier

Kräfte

nicht die engste Gränze, worin die Abänderung des Hem-
mungs-Verhältnisses durch die Verschmelzung vor der
Hemmung, muſs eingeschlossen werden.

Die Vorstellungen sind ursprünglich unverschmolzen.
Wenn sie nun auch einander nahe genug, oder gleich-
artig genug, sind, damit nicht, nach der eben geführten
Rechnung, die Energie des Verschmelzens gänzlich über-
wunden werde von dem entgegengesetzten Eigenthümli-
chen einer jeden einzelnen Vorstellung: so fragt es sich
dennoch, ob irgend etwas von wirklicher Verschmelzung
zu Stande kommen könne? Dazu gehört, daſs die Ener-
gie der Gleichartigkeit, welche ursprünglich in beyden
Vorstellungen nur Eine ist, sich in zwey gleiche Kräfte
theile. Denn sie muſs die eine Vorstellung mit der an-
dern, und auch die andere mit jener, verschmelzen.

Nun sind aber die Vorstellungen nicht einerley; und
es kann auch in keiner von beyden das Gleichartige vom
Entgegengesetzten wirklich losgerissen werden, um sich
mit der andern zu vereinigen. Also bleibt nichts übrig,
als daſs mit jeder von beyden sich die andre in einem
gewissen, beschränkten Grade verbinde. Jede einzelne
Vorstellung wird gleichsam ein Subject, mit welchem sich
die andre, so weit sie kann, als Prädicat vereinigen soll.
Demnach giebt es nicht eine, sondern zwey Verknüpfun-
gen; und die eine, verschmelzende Kraft theilt sich nicht
bloſs in zwey Kräfte, sondern diese beyden Kräfte sind
auch unter einander in vollem Widerstreite, in so fern
sie auf umgekehrte Weise eine der beyden Vorstellun-
gen als eine solche setzen, mit welcher die andre un-
vollkommen verbunden werde. Fragt man aber, wie sich
die eine, verschmelzende Kraft theilen könne? so ist die
Antwort: sie liegt ursprünglich eben so wohl in der ei-
nen als in der andern der beyden Vorstellungen, da zur
Gleichheit derselben gewiſs beyde nöthig sind; und nur
in ihren beyden Aeuſserungen ist sie mit sich selbst im
Streite. — In dieser Beziehung sind nun offenbar vier

Kräfte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0260" n="240"/>
nicht die engste Gränze, worin die Abänderung des Hem-<lb/>
mungs-Verhältnisses durch die Verschmelzung vor der<lb/>
Hemmung, mu&#x017F;s eingeschlossen werden.</p><lb/>
              <p>Die Vorstellungen sind ursprünglich unverschmolzen.<lb/>
Wenn sie nun auch einander nahe genug, oder gleich-<lb/>
artig genug, sind, damit nicht, nach der eben geführten<lb/>
Rechnung, die Energie des Verschmelzens gänzlich über-<lb/>
wunden werde von dem entgegengesetzten Eigenthümli-<lb/>
chen einer jeden einzelnen Vorstellung: so fragt es sich<lb/>
dennoch, ob irgend etwas von wirklicher Verschmelzung<lb/>
zu Stande kommen könne? Dazu gehört, da&#x017F;s die Ener-<lb/>
gie der Gleichartigkeit, welche ursprünglich in beyden<lb/>
Vorstellungen nur Eine ist, sich in zwey gleiche Kräfte<lb/>
theile. Denn sie mu&#x017F;s die eine Vorstellung mit der an-<lb/>
dern, und auch die andere mit jener, verschmelzen.</p><lb/>
              <p>Nun sind aber die Vorstellungen nicht einerley; und<lb/>
es kann auch in keiner von beyden das Gleichartige vom<lb/>
Entgegengesetzten wirklich losgerissen werden, um sich<lb/>
mit der andern zu vereinigen. Also bleibt nichts übrig,<lb/>
als da&#x017F;s mit jeder von beyden sich die andre in einem<lb/>
gewissen, beschränkten Grade verbinde. Jede einzelne<lb/>
Vorstellung wird gleichsam ein Subject, mit welchem sich<lb/>
die andre, so weit sie kann, als Prädicat vereinigen soll.<lb/>
Demnach giebt es nicht eine, sondern zwey Verknüpfun-<lb/>
gen; und die eine, verschmelzende Kraft theilt sich nicht<lb/>
blo&#x017F;s in zwey Kräfte, sondern diese beyden Kräfte sind<lb/>
auch unter einander in vollem Widerstreite, in so fern<lb/>
sie auf umgekehrte Weise <hi rendition="#g">eine</hi> der beyden Vorstellun-<lb/>
gen als eine solche setzen, <hi rendition="#g">mit</hi> welcher die <hi rendition="#g">andre</hi> un-<lb/>
vollkommen verbunden werde. Fragt man aber, wie sich<lb/>
die eine, verschmelzende Kraft theilen könne? so ist die<lb/>
Antwort: sie liegt ursprünglich eben so wohl in der ei-<lb/>
nen als in der andern der beyden Vorstellungen, da zur<lb/>
Gleichheit derselben gewi&#x017F;s beyde nöthig sind; und nur<lb/>
in ihren beyden Aeu&#x017F;serungen ist sie mit sich selbst im<lb/>
Streite. &#x2014; In dieser Beziehung sind nun offenbar vier<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Kräfte</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0260] nicht die engste Gränze, worin die Abänderung des Hem- mungs-Verhältnisses durch die Verschmelzung vor der Hemmung, muſs eingeschlossen werden. Die Vorstellungen sind ursprünglich unverschmolzen. Wenn sie nun auch einander nahe genug, oder gleich- artig genug, sind, damit nicht, nach der eben geführten Rechnung, die Energie des Verschmelzens gänzlich über- wunden werde von dem entgegengesetzten Eigenthümli- chen einer jeden einzelnen Vorstellung: so fragt es sich dennoch, ob irgend etwas von wirklicher Verschmelzung zu Stande kommen könne? Dazu gehört, daſs die Ener- gie der Gleichartigkeit, welche ursprünglich in beyden Vorstellungen nur Eine ist, sich in zwey gleiche Kräfte theile. Denn sie muſs die eine Vorstellung mit der an- dern, und auch die andere mit jener, verschmelzen. Nun sind aber die Vorstellungen nicht einerley; und es kann auch in keiner von beyden das Gleichartige vom Entgegengesetzten wirklich losgerissen werden, um sich mit der andern zu vereinigen. Also bleibt nichts übrig, als daſs mit jeder von beyden sich die andre in einem gewissen, beschränkten Grade verbinde. Jede einzelne Vorstellung wird gleichsam ein Subject, mit welchem sich die andre, so weit sie kann, als Prädicat vereinigen soll. Demnach giebt es nicht eine, sondern zwey Verknüpfun- gen; und die eine, verschmelzende Kraft theilt sich nicht bloſs in zwey Kräfte, sondern diese beyden Kräfte sind auch unter einander in vollem Widerstreite, in so fern sie auf umgekehrte Weise eine der beyden Vorstellun- gen als eine solche setzen, mit welcher die andre un- vollkommen verbunden werde. Fragt man aber, wie sich die eine, verschmelzende Kraft theilen könne? so ist die Antwort: sie liegt ursprünglich eben so wohl in der ei- nen als in der andern der beyden Vorstellungen, da zur Gleichheit derselben gewiſs beyde nöthig sind; und nur in ihren beyden Aeuſserungen ist sie mit sich selbst im Streite. — In dieser Beziehung sind nun offenbar vier Kräfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/260
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/260>, abgerufen am 10.05.2024.