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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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Die Töne bilden ein Continuum von nur Einer Dimen-
sion, welches wir die Tonlinie nennen wollen *). Ist
von ihnen die Rede, so ist allemal p + n = m. Hingegen
schon die Vocale bilden ein Continuum von wenigstens
zwey Dimensionen, denn der Uebergang vom U zum I
geht gewiss nicht nothwendig durch A, sondern gerade
durch Ü; obgleich auch der Umweg durch O, A und E
möglich ist. Die Farben haben ebenfalls zum wenigsten
zwey Dimensionen, indem schon Roth, Blau und Gelb,
paarweise genommen, eine Folge von Nüancen in gera-
der Linie zwischen sich einschliessen, und alle drey in
der That ein gleichseitiges Dreieck zu bilden scheinen,
in welchem jedoch weder Weiss noch Schwarz, noch
selbst, wie es scheint, das reine Braun mit eingeschlos-
sen liegt. Für Farben daher kann man gewiss p = n = m
setzen, welches bei Tönen unmöglich ist. -- Hingegen
wird man, wofern vier Vorstellungen von Farben zusam-
men zu nehmen sind, sich hüten müssen, der vierten ihre
Gegensätze gegen alle drey andre willkührlich anzuweisen,
indem auch hier, wie beim vierten Puncte auf einer Flä-
che, aus zweyen Gegensätzen und gleichsam Distanzen,
der dritte von selbst folgt. Dies unter der Voraussetzung,
dass man nicht noch eine dritte Dimension für die Far-
ben rechtfertigen könne, oder dass man wenigstens in
dem vorhandenen Falle von dieser dritten Dimension
nicht Gebrauch gemacht habe. Es scheint zwar eine
dritte Dimension vorhanden zu seyn, nämlich in dem
Gegensatz des Hellen und Dunkeln, welches, auf die
Mitteltinte aller übrigen Farben bezogen, Weiss, Grau
und Schwarz ergeben dürfte; während doch auch alle rei-
nen Farben bei den Extremen der Verdunkelung oder
Erhellung in Schwarz und Weiss überzugehn pflegen.
Allein eben aus diesem letztern Grunde laufen wir hier
Gefahr, die Intensität der Vorstellungen (den Unter-

*) Nicht zu verwechseln mit Tonleiter, die nur einzelne Puncte
jener Linie enthält.

Die Töne bilden ein Continuum von nur Einer Dimen-
sion, welches wir die Tonlinie nennen wollen *). Ist
von ihnen die Rede, so ist allemal p + n = m. Hingegen
schon die Vocale bilden ein Continuum von wenigstens
zwey Dimensionen, denn der Uebergang vom U zum I
geht gewiſs nicht nothwendig durch A, sondern gerade
durch Ü; obgleich auch der Umweg durch O, A und E
möglich ist. Die Farben haben ebenfalls zum wenigsten
zwey Dimensionen, indem schon Roth, Blau und Gelb,
paarweise genommen, eine Folge von Nüançen in gera-
der Linie zwischen sich einschlieſsen, und alle drey in
der That ein gleichseitiges Dreieck zu bilden scheinen,
in welchem jedoch weder Weiſs noch Schwarz, noch
selbst, wie es scheint, das reine Braun mit eingeschlos-
sen liegt. Für Farben daher kann man gewiſs p = n = m
setzen, welches bei Tönen unmöglich ist. — Hingegen
wird man, wofern vier Vorstellungen von Farben zusam-
men zu nehmen sind, sich hüten müssen, der vierten ihre
Gegensätze gegen alle drey andre willkührlich anzuweisen,
indem auch hier, wie beim vierten Puncte auf einer Flä-
che, aus zweyen Gegensätzen und gleichsam Distanzen,
der dritte von selbst folgt. Dies unter der Voraussetzung,
daſs man nicht noch eine dritte Dimension für die Far-
ben rechtfertigen könne, oder daſs man wenigstens in
dem vorhandenen Falle von dieser dritten Dimension
nicht Gebrauch gemacht habe. Es scheint zwar eine
dritte Dimension vorhanden zu seyn, nämlich in dem
Gegensatz des Hellen und Dunkeln, welches, auf die
Mitteltinte aller übrigen Farben bezogen, Weiſs, Grau
und Schwarz ergeben dürfte; während doch auch alle rei-
nen Farben bei den Extremen der Verdunkelung oder
Erhellung in Schwarz und Weiſs überzugehn pflegen.
Allein eben aus diesem letztern Grunde laufen wir hier
Gefahr, die Intensität der Vorstellungen (den Unter-

*) Nicht zu verwechseln mit Tonleiter, die nur einzelne Puncte
jener Linie enthält.
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[186/0206] Die Töne bilden ein Continuum von nur Einer Dimen- sion, welches wir die Tonlinie nennen wollen *). Ist von ihnen die Rede, so ist allemal p + n = m. Hingegen schon die Vocale bilden ein Continuum von wenigstens zwey Dimensionen, denn der Uebergang vom U zum I geht gewiſs nicht nothwendig durch A, sondern gerade durch Ü; obgleich auch der Umweg durch O, A und E möglich ist. Die Farben haben ebenfalls zum wenigsten zwey Dimensionen, indem schon Roth, Blau und Gelb, paarweise genommen, eine Folge von Nüançen in gera- der Linie zwischen sich einschlieſsen, und alle drey in der That ein gleichseitiges Dreieck zu bilden scheinen, in welchem jedoch weder Weiſs noch Schwarz, noch selbst, wie es scheint, das reine Braun mit eingeschlos- sen liegt. Für Farben daher kann man gewiſs p = n = m setzen, welches bei Tönen unmöglich ist. — Hingegen wird man, wofern vier Vorstellungen von Farben zusam- men zu nehmen sind, sich hüten müssen, der vierten ihre Gegensätze gegen alle drey andre willkührlich anzuweisen, indem auch hier, wie beim vierten Puncte auf einer Flä- che, aus zweyen Gegensätzen und gleichsam Distanzen, der dritte von selbst folgt. Dies unter der Voraussetzung, daſs man nicht noch eine dritte Dimension für die Far- ben rechtfertigen könne, oder daſs man wenigstens in dem vorhandenen Falle von dieser dritten Dimension nicht Gebrauch gemacht habe. Es scheint zwar eine dritte Dimension vorhanden zu seyn, nämlich in dem Gegensatz des Hellen und Dunkeln, welches, auf die Mitteltinte aller übrigen Farben bezogen, Weiſs, Grau und Schwarz ergeben dürfte; während doch auch alle rei- nen Farben bei den Extremen der Verdunkelung oder Erhellung in Schwarz und Weiſs überzugehn pflegen. Allein eben aus diesem letztern Grunde laufen wir hier Gefahr, die Intensität der Vorstellungen (den Unter- *) Nicht zu verwechseln mit Tonleiter, die nur einzelne Puncte jener Linie enthält.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/206>, abgerufen am 03.05.2024.