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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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im Anfange vorgetragen habe. An dem Faden derselben
läuft auch das Räsonnement im §. 28. dieses Buches fort,
obgleich daselbst von keiner Methode ist gesprochen
worden.

Diese Methode hat verschiedene Misverständnisse
erlitten; man würde aber dieselbe sehr bald, entweder
verstehen und annehmen, oder aber verstehen und
verbessern
, wenn man nur erst von der widersprechen-
den Natur der metaphysischen Principien überzeugt wäre.
So lange es daran fehlt, wird die Methode für ein Hirn-
gespinnst gehalten werden. Inzwischen wird mir erlaubt
seyn zu sagen, dass dieselbe grösstentheils durch Ab-
straction aus den Reflexionen über die erwähnten Pro-
bleme ist gewonnen worden; dass sie demnach von dem
Gefühl der Nothwendigkeit, von welcher das Nachden-
ken über jene Probleme getrieben wird, eingegeben, und
nichts weniger als willkührlich ersonnen ist. Ihren Platz
aber bekam sie in den Hauptpuncten der Metaphysik des-
halb ganz vorne, weil sie als allgemeine Methode jeder
ihr unterzuordnenden Untersuchung vorangestellt werden
musste. Dabey ist nun unvermeidlich, dass sie dem nicht
gehörig vorbereiteten Leser früher entgegentritt, als er
das Bedürfniss darnach empfunden, und hiemit die Mög-
lichkeit der Einsicht in dieselbe sich verschafft hat.

Die Methode beruht auf folgenden Momenten: Ein
widersprechender Begriff A enthalte die entgegengesetz-
ten Glieder M und N, welche er für identisch ausgiebt;
so muss zuvörderst, wie schon auseinandergesetzt, deren
Identität geleugnet werden. Soweit sind wir beym Ich,
indem wir ihm ein fremdes Object leihen, welches ge-
rade soviel heisst, als, das Object ist ein anderes
als das Subject
. Nun ferner entsteht allemal die
Schwierigkeit, dass die Glieder M und N, welche in dem
widersprechenden, aber gegebenen Begriffe als Eins und
dasselbe aufgefasst waren (wie Object und Subject in dem
gegebenen Begriffe des Ich) ihre Gültigkeit verlieren,
sobald sie gesondert werden: denn als gesondert sind sie

I. I

im Anfange vorgetragen habe. An dem Faden derselben
läuft auch das Räsonnement im §. 28. dieses Buches fort,
obgleich daselbst von keiner Methode ist gesprochen
worden.

Diese Methode hat verschiedene Misverständnisse
erlitten; man würde aber dieselbe sehr bald, entweder
verstehen und annehmen, oder aber verstehen und
verbessern
, wenn man nur erst von der widersprechen-
den Natur der metaphysischen Principien überzeugt wäre.
So lange es daran fehlt, wird die Methode für ein Hirn-
gespinnst gehalten werden. Inzwischen wird mir erlaubt
seyn zu sagen, daſs dieselbe gröſstentheils durch Ab-
straction aus den Reflexionen über die erwähnten Pro-
bleme ist gewonnen worden; daſs sie demnach von dem
Gefühl der Nothwendigkeit, von welcher das Nachden-
ken über jene Probleme getrieben wird, eingegeben, und
nichts weniger als willkührlich ersonnen ist. Ihren Platz
aber bekam sie in den Hauptpuncten der Metaphysik des-
halb ganz vorne, weil sie als allgemeine Methode jeder
ihr unterzuordnenden Untersuchung vorangestellt werden
muſste. Dabey ist nun unvermeidlich, daſs sie dem nicht
gehörig vorbereiteten Leser früher entgegentritt, als er
das Bedürfniſs darnach empfunden, und hiemit die Mög-
lichkeit der Einsicht in dieselbe sich verschafft hat.

Die Methode beruht auf folgenden Momenten: Ein
widersprechender Begriff A enthalte die entgegengesetz-
ten Glieder M und N, welche er für identisch ausgiebt;
so muſs zuvörderst, wie schon auseinandergesetzt, deren
Identität geleugnet werden. Soweit sind wir beym Ich,
indem wir ihm ein fremdes Object leihen, welches ge-
rade soviel heiſst, als, das Object ist ein anderes
als das Subject
. Nun ferner entsteht allemal die
Schwierigkeit, daſs die Glieder M und N, welche in dem
widersprechenden, aber gegebenen Begriffe als Eins und
dasselbe aufgefaſst waren (wie Object und Subject in dem
gegebenen Begriffe des Ich) ihre Gültigkeit verlieren,
sobald sie gesondert werden: denn als gesondert sind sie

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[129/0149] im Anfange vorgetragen habe. An dem Faden derselben läuft auch das Räsonnement im §. 28. dieses Buches fort, obgleich daselbst von keiner Methode ist gesprochen worden. Diese Methode hat verschiedene Misverständnisse erlitten; man würde aber dieselbe sehr bald, entweder verstehen und annehmen, oder aber verstehen und verbessern, wenn man nur erst von der widersprechen- den Natur der metaphysischen Principien überzeugt wäre. So lange es daran fehlt, wird die Methode für ein Hirn- gespinnst gehalten werden. Inzwischen wird mir erlaubt seyn zu sagen, daſs dieselbe gröſstentheils durch Ab- straction aus den Reflexionen über die erwähnten Pro- bleme ist gewonnen worden; daſs sie demnach von dem Gefühl der Nothwendigkeit, von welcher das Nachden- ken über jene Probleme getrieben wird, eingegeben, und nichts weniger als willkührlich ersonnen ist. Ihren Platz aber bekam sie in den Hauptpuncten der Metaphysik des- halb ganz vorne, weil sie als allgemeine Methode jeder ihr unterzuordnenden Untersuchung vorangestellt werden muſste. Dabey ist nun unvermeidlich, daſs sie dem nicht gehörig vorbereiteten Leser früher entgegentritt, als er das Bedürfniſs darnach empfunden, und hiemit die Mög- lichkeit der Einsicht in dieselbe sich verschafft hat. Die Methode beruht auf folgenden Momenten: Ein widersprechender Begriff A enthalte die entgegengesetz- ten Glieder M und N, welche er für identisch ausgiebt; so muſs zuvörderst, wie schon auseinandergesetzt, deren Identität geleugnet werden. Soweit sind wir beym Ich, indem wir ihm ein fremdes Object leihen, welches ge- rade soviel heiſst, als, das Object ist ein anderes als das Subject. Nun ferner entsteht allemal die Schwierigkeit, daſs die Glieder M und N, welche in dem widersprechenden, aber gegebenen Begriffe als Eins und dasselbe aufgefaſst waren (wie Object und Subject in dem gegebenen Begriffe des Ich) ihre Gültigkeit verlieren, sobald sie gesondert werden: denn als gesondert sind sie I. I

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/149>, abgerufen am 27.04.2024.