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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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dass eine ähnliche Hülfe für alle bereit seyn werde. Ha-
ben wir demnach zur Auflösung der Widersprüche im
Ich wenigstens einige Schritte thun können, so wäre es
schon der Mühe werth, der Analogie nachzugehn, um
zu versuchen, ob nicht das Nachdenken über die andern
Probleme dieselbe Richtung nehmen dürfte?

Aber diese Analogie würde sich zu einer Methode
erheben, sobald man fände, dass im Allgemeinen auf der
Natur eines widersprechenden Begriffes ein gewisser Gang
des Denkens beruhe, welchen zu nehmen man gezwun-
gen sey, falls man den Widerspruch los werden wolle.

Bey diesem zweyten formalen Theile unserer Ver-
gleichung der verschiedenen Probleme, kommt uns nun
sogleich die Logik mit einer allgemeinen, und höchst ein-
fachen Bemerkung zu Hülfe; nämlich das von zweyen
contradictorischen Gegentheilen gewiss eins wahr sey,
wenn das andre falsch ist. Demnach, wenn es falsch ist,
dass Entgegengesetztes einerley sey, so ist wahr, dass Ent-
gegengesetztes nicht einerley ist. Wenn es falsch ist,
dass im Ich, Object und Subject dasselbe seyen, so muss
es wahr seyn, dass Object und Subject nicht dasselbe
sind. Wenn es undenkbar ist, dass ein Ding mit ver-
änderter Qualität eins und dasselbe sey, so muss man
zugeben, dass es nicht dasselbe ist. Wenn es keinen
Sinn hat, dass der Stoff eines Dinges, und die Realitä-
ten, welche man wegen der mehrern Merkmale dieses Din-
ges annimmt, ein und dasselbe seyen, so muss anerkannt
werden, dass die genannten Realitäten von jenem Stoffe
zu unterscheiden sind. Mit einem Worte, die Identi-
tät, welche den Widerspruch verursacht, muss geleugnet
werden.

So klar nun dieses ist, so haben wir dennoch in
den neuesten Zeiten manchmal von Widersprüchen ge-
lesen, die man vereinigen wollte. Die entgegengesetz-
ten sollten Eins und dasselbe werden. Das heisst
mit andern Worten: der Widerspruch solle, wenn er
etwa noch nicht vorhanden wäre, jetzt eben gestiftet wer-

daſs eine ähnliche Hülfe für alle bereit seyn werde. Ha-
ben wir demnach zur Auflösung der Widersprüche im
Ich wenigstens einige Schritte thun können, so wäre es
schon der Mühe werth, der Analogie nachzugehn, um
zu versuchen, ob nicht das Nachdenken über die andern
Probleme dieselbe Richtung nehmen dürfte?

Aber diese Analogie würde sich zu einer Methode
erheben, sobald man fände, daſs im Allgemeinen auf der
Natur eines widersprechenden Begriffes ein gewisser Gang
des Denkens beruhe, welchen zu nehmen man gezwun-
gen sey, falls man den Widerspruch los werden wolle.

Bey diesem zweyten formalen Theile unserer Ver-
gleichung der verschiedenen Probleme, kommt uns nun
sogleich die Logik mit einer allgemeinen, und höchst ein-
fachen Bemerkung zu Hülfe; nämlich das von zweyen
contradictorischen Gegentheilen gewiſs eins wahr sey,
wenn das andre falsch ist. Demnach, wenn es falsch ist,
daſs Entgegengesetztes einerley sey, so ist wahr, daſs Ent-
gegengesetztes nicht einerley ist. Wenn es falsch ist,
daſs im Ich, Object und Subject dasselbe seyen, so muſs
es wahr seyn, daſs Object und Subject nicht dasselbe
sind. Wenn es undenkbar ist, daſs ein Ding mit ver-
änderter Qualität eins und dasselbe sey, so muſs man
zugeben, daſs es nicht dasselbe ist. Wenn es keinen
Sinn hat, daſs der Stoff eines Dinges, und die Realitä-
ten, welche man wegen der mehrern Merkmale dieses Din-
ges annimmt, ein und dasselbe seyen, so muſs anerkannt
werden, daſs die genannten Realitäten von jenem Stoffe
zu unterscheiden sind. Mit einem Worte, die Identi-
tät, welche den Widerspruch verursacht, muſs geleugnet
werden.

So klar nun dieses ist, so haben wir dennoch in
den neuesten Zeiten manchmal von Widersprüchen ge-
lesen, die man vereinigen wollte. Die entgegengesetz-
ten sollten Eins und dasselbe werden. Das heiſst
mit andern Worten: der Widerspruch solle, wenn er
etwa noch nicht vorhanden wäre, jetzt eben gestiftet wer-

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[127/0147] daſs eine ähnliche Hülfe für alle bereit seyn werde. Ha- ben wir demnach zur Auflösung der Widersprüche im Ich wenigstens einige Schritte thun können, so wäre es schon der Mühe werth, der Analogie nachzugehn, um zu versuchen, ob nicht das Nachdenken über die andern Probleme dieselbe Richtung nehmen dürfte? Aber diese Analogie würde sich zu einer Methode erheben, sobald man fände, daſs im Allgemeinen auf der Natur eines widersprechenden Begriffes ein gewisser Gang des Denkens beruhe, welchen zu nehmen man gezwun- gen sey, falls man den Widerspruch los werden wolle. Bey diesem zweyten formalen Theile unserer Ver- gleichung der verschiedenen Probleme, kommt uns nun sogleich die Logik mit einer allgemeinen, und höchst ein- fachen Bemerkung zu Hülfe; nämlich das von zweyen contradictorischen Gegentheilen gewiſs eins wahr sey, wenn das andre falsch ist. Demnach, wenn es falsch ist, daſs Entgegengesetztes einerley sey, so ist wahr, daſs Ent- gegengesetztes nicht einerley ist. Wenn es falsch ist, daſs im Ich, Object und Subject dasselbe seyen, so muſs es wahr seyn, daſs Object und Subject nicht dasselbe sind. Wenn es undenkbar ist, daſs ein Ding mit ver- änderter Qualität eins und dasselbe sey, so muſs man zugeben, daſs es nicht dasselbe ist. Wenn es keinen Sinn hat, daſs der Stoff eines Dinges, und die Realitä- ten, welche man wegen der mehrern Merkmale dieses Din- ges annimmt, ein und dasselbe seyen, so muſs anerkannt werden, daſs die genannten Realitäten von jenem Stoffe zu unterscheiden sind. Mit einem Worte, die Identi- tät, welche den Widerspruch verursacht, muſs geleugnet werden. So klar nun dieses ist, so haben wir dennoch in den neuesten Zeiten manchmal von Widersprüchen ge- lesen, die man vereinigen wollte. Die entgegengesetz- ten sollten Eins und dasselbe werden. Das heiſst mit andern Worten: der Widerspruch solle, wenn er etwa noch nicht vorhanden wäre, jetzt eben gestiftet wer-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/147>, abgerufen am 28.04.2024.