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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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lung von Seiten des competenten Richters, wel-
chem früher oder später mein Werk begegnen
wird. Sorgfältige Vergleichung desselben mit
meinen frühern Schriften darf ich in Fällen, wo
etwas dunkel scheinen möchte, wohl von jedem
aufmerksamen Leser erwarten.

Noch ein Wort habe ich zu sagen über den
Gang der vorliegenden Untersuchungen in Be-
ziehung auf die Verschiedenheit der Leser.
Für Manchen würde es ohne Zweifel bequemer
gewesen seyn, wenn ich die Grundlinien der
Statik und Mechanik des Geistes gerade zu auf
den empirischen Boden gestellt hätte. Da es
hiebey nur auf die Hemmung unter entgegen-
gesetzten Vorstellungen ankommt, welche sich
ziemlich deutlich unmittelbar in der Erfahrung
zu erkennen giebt: so hätte ich recht füglich im
Geiste der Mathematiker an ein Gegebenes die
Rechnung knüpfen können; man würde mir den
Satz: dass entgegengesetzte Vorstellungen sich
zum Theil in ein Streben vorzustellen ver-
wandeln, entweder als Thatsache zugegeben, oder,
Falls jemand seiner innern Wahrnehmung nicht
so viel zugetraut hätte (und das wäre allerdings
auch bey mir der Fall gewesen), wenigstens die
Hypothese gestattet haben, die sich alsdann durch
ihre Fruchtbarkeit hätte rechtfertigen müssen.
Allein hiemit wäre der geschichtliche Gang mei-
ner Untersuchungen verdeckt worden. Diesen
habe ich gerade im Gegentheil ganz offen dar-
gestellt. Von der Untersuchung des Ich bin ich
wirklich ausgegangen; die nothwendigen Reflexio-
nen über das Selbstbewusstseyn haben sich von
ihrer besondern Veranlassung späterhin losge-
macht; daraus ist ein allgemeiner Ausdruck der-
selben entstanden, den ich Methode der Be-
ziehungen
nenne, und auch für andre meta-
physische Grund-Probleme passend gefunden
habe; zugleich ergab sich aus jenen Reflexionen

lung von Seiten des competenten Richters, wel-
chem früher oder später mein Werk begegnen
wird. Sorgfältige Vergleichung desselben mit
meinen frühern Schriften darf ich in Fällen, wo
etwas dunkel scheinen möchte, wohl von jedem
aufmerksamen Leser erwarten.

Noch ein Wort habe ich zu sagen über den
Gang der vorliegenden Untersuchungen in Be-
ziehung auf die Verschiedenheit der Leser.
Für Manchen würde es ohne Zweifel bequemer
gewesen seyn, wenn ich die Grundlinien der
Statik und Mechanik des Geistes gerade zu auf
den empirischen Boden gestellt hätte. Da es
hiebey nur auf die Hemmung unter entgegen-
gesetzten Vorstellungen ankommt, welche sich
ziemlich deutlich unmittelbar in der Erfahrung
zu erkennen giebt: so hätte ich recht füglich im
Geiste der Mathematiker an ein Gegebenes die
Rechnung knüpfen können; man würde mir den
Satz: daſs entgegengesetzte Vorstellungen sich
zum Theil in ein Streben vorzustellen ver-
wandeln, entweder als Thatsache zugegeben, oder,
Falls jemand seiner innern Wahrnehmung nicht
so viel zugetraut hätte (und das wäre allerdings
auch bey mir der Fall gewesen), wenigstens die
Hypothese gestattet haben, die sich alsdann durch
ihre Fruchtbarkeit hätte rechtfertigen müssen.
Allein hiemit wäre der geschichtliche Gang mei-
ner Untersuchungen verdeckt worden. Diesen
habe ich gerade im Gegentheil ganz offen dar-
gestellt. Von der Untersuchung des Ich bin ich
wirklich ausgegangen; die nothwendigen Reflexio-
nen über das Selbstbewuſstseyn haben sich von
ihrer besondern Veranlassung späterhin losge-
macht; daraus ist ein allgemeiner Ausdruck der-
selben entstanden, den ich Methode der Be-
ziehungen
nenne, und auch für andre meta-
physische Grund-Probleme passend gefunden
habe; zugleich ergab sich aus jenen Reflexionen

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[VIII/0014] lung von Seiten des competenten Richters, wel- chem früher oder später mein Werk begegnen wird. Sorgfältige Vergleichung desselben mit meinen frühern Schriften darf ich in Fällen, wo etwas dunkel scheinen möchte, wohl von jedem aufmerksamen Leser erwarten. Noch ein Wort habe ich zu sagen über den Gang der vorliegenden Untersuchungen in Be- ziehung auf die Verschiedenheit der Leser. Für Manchen würde es ohne Zweifel bequemer gewesen seyn, wenn ich die Grundlinien der Statik und Mechanik des Geistes gerade zu auf den empirischen Boden gestellt hätte. Da es hiebey nur auf die Hemmung unter entgegen- gesetzten Vorstellungen ankommt, welche sich ziemlich deutlich unmittelbar in der Erfahrung zu erkennen giebt: so hätte ich recht füglich im Geiste der Mathematiker an ein Gegebenes die Rechnung knüpfen können; man würde mir den Satz: daſs entgegengesetzte Vorstellungen sich zum Theil in ein Streben vorzustellen ver- wandeln, entweder als Thatsache zugegeben, oder, Falls jemand seiner innern Wahrnehmung nicht so viel zugetraut hätte (und das wäre allerdings auch bey mir der Fall gewesen), wenigstens die Hypothese gestattet haben, die sich alsdann durch ihre Fruchtbarkeit hätte rechtfertigen müssen. Allein hiemit wäre der geschichtliche Gang mei- ner Untersuchungen verdeckt worden. Diesen habe ich gerade im Gegentheil ganz offen dar- gestellt. Von der Untersuchung des Ich bin ich wirklich ausgegangen; die nothwendigen Reflexio- nen über das Selbstbewuſstseyn haben sich von ihrer besondern Veranlassung späterhin losge- macht; daraus ist ein allgemeiner Ausdruck der- selben entstanden, den ich Methode der Be- ziehungen nenne, und auch für andre meta- physische Grund-Probleme passend gefunden habe; zugleich ergab sich aus jenen Reflexionen

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/14>, abgerufen am 26.04.2024.