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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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in die Bestimmung unseres Selbst bald aufnehmen, bald
ausstossen? oder auch in verschiedener Rücksicht aufneh-
men, und ausstossen? Aber so lange dieses fremde Ob-
ject nur ein einziges ist, kann keine Form unsres Gei-
stes den Widerspruch erzwingen, dass Ich dasjenige sey,
was eben nicht Ich selbst, sondern ein Fremdes ist. Auf
gar keine Weise kann die eigne Qualität des Fremden
in die Ichheit eingelassen werden! Erst dann, wenn meh-
rere Objecte vorgestellt werden, gehört Etwas an ih-
nen dem Vorstellenden; nämlich ihre Zusammenfas-
sung in Ein Vorstellen
; und was aus dieser weiter
entspringt. Daraus muss also auch die gesuchte Modifi-
cation hervorgehn, durch welche an den verschiedenen
Objecten etwas zu bemerken sey, das keinem von ih-
nen einzeln genommen
zukommen würde, das also
eben darum vielleicht Uns angehören könnte. Dabey
bleibt denn die Vorstellung Meiner selbst zwar abhängig
von der Vorstellung der Objecte, -- sie bezieht sich auf
dieselben, -- aber sie fällt dennoch nicht damit zu-
sammen *).

Wir wollen uns erlauben, diese ersten Anfänge der
Speculation sogleich mit der Erfahrung zu vergleichen.
Irgend eine Aehnlichkeit muss doch schon zu bemerken
seyn. Ich finde mich denkend, wollend, fühlend. Aber
Denken ist das Uebergehen von Gedanken zu Gedanken,
Wollen das Fortstreben aus einer Lage der Vorstellun-
gen in eine andere; hier bezieht sich das Uebergehen auf
eine Mannigfaltigkeit im Objectiven, das Fortstreben des-
gleichen; nicht das Objective selbst, wohl aber das Um-
herwandeln unter seiner Mannigfaltigkeit schreiben wir
Uns zu. Was das heisse, Ich finde mich fühlend, mag
etwas schwerer zu erklären seyn; doch ist hier soviel
sichtbar, dass keinesweges das Gefühlte (das Objective

*) Der §. 34. wird die Sache noch mehr ins Licht setzen; durch
ein Verfahren, welches bisher absichtlich ist im Dunkeln gehalten
worden.

in die Bestimmung unseres Selbst bald aufnehmen, bald
ausstoſsen? oder auch in verschiedener Rücksicht aufneh-
men, und ausstoſsen? Aber so lange dieses fremde Ob-
ject nur ein einziges ist, kann keine Form unsres Gei-
stes den Widerspruch erzwingen, daſs Ich dasjenige sey,
was eben nicht Ich selbst, sondern ein Fremdes ist. Auf
gar keine Weise kann die eigne Qualität des Fremden
in die Ichheit eingelassen werden! Erst dann, wenn meh-
rere Objecte vorgestellt werden, gehört Etwas an ih-
nen dem Vorstellenden; nämlich ihre Zusammenfas-
sung in Ein Vorstellen
; und was aus dieser weiter
entspringt. Daraus muſs also auch die gesuchte Modifi-
cation hervorgehn, durch welche an den verschiedenen
Objecten etwas zu bemerken sey, das keinem von ih-
nen einzeln genommen
zukommen würde, das also
eben darum vielleicht Uns angehören könnte. Dabey
bleibt denn die Vorstellung Meiner selbst zwar abhängig
von der Vorstellung der Objecte, — sie bezieht sich auf
dieselben, — aber sie fällt dennoch nicht damit zu-
sammen *).

Wir wollen uns erlauben, diese ersten Anfänge der
Speculation sogleich mit der Erfahrung zu vergleichen.
Irgend eine Aehnlichkeit muſs doch schon zu bemerken
seyn. Ich finde mich denkend, wollend, fühlend. Aber
Denken ist das Uebergehen von Gedanken zu Gedanken,
Wollen das Fortstreben aus einer Lage der Vorstellun-
gen in eine andere; hier bezieht sich das Uebergehen auf
eine Mannigfaltigkeit im Objectiven, das Fortstreben des-
gleichen; nicht das Objective selbst, wohl aber das Um-
herwandeln unter seiner Mannigfaltigkeit schreiben wir
Uns zu. Was das heiſse, Ich finde mich fühlend, mag
etwas schwerer zu erklären seyn; doch ist hier soviel
sichtbar, daſs keinesweges das Gefühlte (das Objective

*) Der §. 34. wird die Sache noch mehr ins Licht setzen; durch
ein Verfahren, welches bisher absichtlich ist im Dunkeln gehalten
worden.
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[105/0125] in die Bestimmung unseres Selbst bald aufnehmen, bald ausstoſsen? oder auch in verschiedener Rücksicht aufneh- men, und ausstoſsen? Aber so lange dieses fremde Ob- ject nur ein einziges ist, kann keine Form unsres Gei- stes den Widerspruch erzwingen, daſs Ich dasjenige sey, was eben nicht Ich selbst, sondern ein Fremdes ist. Auf gar keine Weise kann die eigne Qualität des Fremden in die Ichheit eingelassen werden! Erst dann, wenn meh- rere Objecte vorgestellt werden, gehört Etwas an ih- nen dem Vorstellenden; nämlich ihre Zusammenfas- sung in Ein Vorstellen; und was aus dieser weiter entspringt. Daraus muſs also auch die gesuchte Modifi- cation hervorgehn, durch welche an den verschiedenen Objecten etwas zu bemerken sey, das keinem von ih- nen einzeln genommen zukommen würde, das also eben darum vielleicht Uns angehören könnte. Dabey bleibt denn die Vorstellung Meiner selbst zwar abhängig von der Vorstellung der Objecte, — sie bezieht sich auf dieselben, — aber sie fällt dennoch nicht damit zu- sammen *). Wir wollen uns erlauben, diese ersten Anfänge der Speculation sogleich mit der Erfahrung zu vergleichen. Irgend eine Aehnlichkeit muſs doch schon zu bemerken seyn. Ich finde mich denkend, wollend, fühlend. Aber Denken ist das Uebergehen von Gedanken zu Gedanken, Wollen das Fortstreben aus einer Lage der Vorstellun- gen in eine andere; hier bezieht sich das Uebergehen auf eine Mannigfaltigkeit im Objectiven, das Fortstreben des- gleichen; nicht das Objective selbst, wohl aber das Um- herwandeln unter seiner Mannigfaltigkeit schreiben wir Uns zu. Was das heiſse, Ich finde mich fühlend, mag etwas schwerer zu erklären seyn; doch ist hier soviel sichtbar, daſs keinesweges das Gefühlte (das Objective *) Der §. 34. wird die Sache noch mehr ins Licht setzen; durch ein Verfahren, welches bisher absichtlich ist im Dunkeln gehalten worden.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/125>, abgerufen am 27.04.2024.