Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Erinnerung an die Göttingische Katastrophe im Jahr 1837. Königsberg, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Oder verändert sich etwa bey diesen auf
einmal die Ansicht der Sache? Ist etwa ihre
Auctorität so gross, dass, wenn sie protesti-
ren, dann auf einmal ein geneigtes Gehör von
Oben her zu erwarten ist?

Schwerlich möchte unter der ganzen Zahl
der Beamten-Klassen Eine zu finden seyn, die
so wenig auf geneigtes Gehör zu rechnen
hätte, als gerade diese. Den Lehrer denkt
man sich als Gelehrten vertieft in seine Wis-
senschaft; als docirend beschäftigt mit der Ju-
gend, die erst das Regelmässige lernt, bevor
das Anomale und Vorübergehende sie angeht;
erst die Geschichte der Vergangenheit, spä-
terhin solche Dinge, die für die Geschichte
noch zu jung, noch nicht reif sind. Wenn
aber die Lehrer der Jugend in Tages-Bege-
benheiten eingreifen wollen, so müssen sie da-
rauf gefasst seyn, dass die Macht nicht
auf sie hört; die Macht, die vom Katheder
nicht will belehrt seyn. Die Macht, die um
so leichter sich mit dem Recht identificirt, je
weiter vom rechten Standpunkte abweichend
ihr Diejenigen erscheinen, die anderwärts re-
den, als wo sie Gehör zu suchen angewiesen
sind. Ist es etwa rathsam, den Mächtigen ge-
rade in dem Augenblick, wo man seiner An-
sicht der Sachen eine Veränderung abzuge-

2

Oder verändert sich etwa bey diesen auf
einmal die Ansicht der Sache? Ist etwa ihre
Auctorität so gross, dass, wenn sie protesti-
ren, dann auf einmal ein geneigtes Gehör von
Oben her zu erwarten ist?

Schwerlich möchte unter der ganzen Zahl
der Beamten-Klassen Eine zu finden seyn, die
so wenig auf geneigtes Gehör zu rechnen
hätte, als gerade diese. Den Lehrer denkt
man sich als Gelehrten vertieft in seine Wis-
senschaft; als docirend beschäftigt mit der Ju-
gend, die erst das Regelmässige lernt, bevor
das Anomale und Vorübergehende sie angeht;
erst die Geschichte der Vergangenheit, spä-
terhin solche Dinge, die für die Geschichte
noch zu jung, noch nicht reif sind. Wenn
aber die Lehrer der Jugend in Tages-Bege-
benheiten eingreifen wollen, so müssen sie da-
rauf gefasst seyn, dass die Macht nicht
auf sie hört; die Macht, die vom Katheder
nicht will belehrt seyn. Die Macht, die um
so leichter sich mit dem Recht identificirt, je
weiter vom rechten Standpunkte abweichend
ihr Diejenigen erscheinen, die anderwärts re-
den, als wo sie Gehör zu suchen angewiesen
sind. Ist es etwa rathsam, den Mächtigen ge-
rade in dem Augenblick, wo man seiner An-
sicht der Sachen eine Veränderung abzuge-

2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0021" n="17"/>
        <p>Oder verändert sich etwa bey diesen auf<lb/>
einmal die Ansicht der Sache? Ist etwa ihre<lb/>
Auctorität so gross, dass, wenn <hi rendition="#g">sie</hi> protesti-<lb/>
ren, dann auf einmal ein geneigtes Gehör von<lb/>
Oben her zu erwarten ist?</p><lb/>
        <p>Schwerlich möchte unter der ganzen Zahl<lb/>
der Beamten-Klassen Eine zu finden seyn, die<lb/>
so wenig auf geneigtes Gehör zu rechnen<lb/>
hätte, als gerade diese. Den Lehrer denkt<lb/>
man sich als Gelehrten vertieft in seine Wis-<lb/>
senschaft; als docirend beschäftigt mit der Ju-<lb/>
gend, die erst das Regelmässige lernt, bevor<lb/>
das Anomale und Vorübergehende sie angeht;<lb/>
erst die Geschichte der Vergangenheit, spä-<lb/>
terhin solche Dinge, die für die Geschichte<lb/>
noch zu jung, noch nicht reif sind. Wenn<lb/>
aber die Lehrer der Jugend in Tages-Bege-<lb/>
benheiten eingreifen wollen, so müssen sie da-<lb/>
rauf gefasst seyn, dass die Macht nicht<lb/>
auf sie hört; die Macht, die vom Katheder<lb/>
nicht will belehrt seyn. Die Macht, die um<lb/>
so leichter sich mit dem Recht identificirt, je<lb/>
weiter vom rechten Standpunkte abweichend<lb/>
ihr Diejenigen erscheinen, die anderwärts re-<lb/>
den, als wo sie Gehör zu suchen angewiesen<lb/>
sind. Ist es etwa rathsam, den Mächtigen ge-<lb/>
rade in dem Augenblick, wo man seiner An-<lb/>
sicht der Sachen eine Veränderung abzuge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0021] Oder verändert sich etwa bey diesen auf einmal die Ansicht der Sache? Ist etwa ihre Auctorität so gross, dass, wenn sie protesti- ren, dann auf einmal ein geneigtes Gehör von Oben her zu erwarten ist? Schwerlich möchte unter der ganzen Zahl der Beamten-Klassen Eine zu finden seyn, die so wenig auf geneigtes Gehör zu rechnen hätte, als gerade diese. Den Lehrer denkt man sich als Gelehrten vertieft in seine Wis- senschaft; als docirend beschäftigt mit der Ju- gend, die erst das Regelmässige lernt, bevor das Anomale und Vorübergehende sie angeht; erst die Geschichte der Vergangenheit, spä- terhin solche Dinge, die für die Geschichte noch zu jung, noch nicht reif sind. Wenn aber die Lehrer der Jugend in Tages-Bege- benheiten eingreifen wollen, so müssen sie da- rauf gefasst seyn, dass die Macht nicht auf sie hört; die Macht, die vom Katheder nicht will belehrt seyn. Die Macht, die um so leichter sich mit dem Recht identificirt, je weiter vom rechten Standpunkte abweichend ihr Diejenigen erscheinen, die anderwärts re- den, als wo sie Gehör zu suchen angewiesen sind. Ist es etwa rathsam, den Mächtigen ge- rade in dem Augenblick, wo man seiner An- sicht der Sachen eine Veränderung abzuge- 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_goettingen_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_goettingen_1842/21
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Erinnerung an die Göttingische Katastrophe im Jahr 1837. Königsberg, 1842, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_goettingen_1842/21>, abgerufen am 19.04.2024.