Hätt ich in dem glänzenden Zeitalter gelebt, worin Sokrates aufwuchs: so hätt ich meine Mahlerey gewiß noch eher als er seine Bildhaue- rey verlassen, und sie wäre nicht einmal Spiel für mich gewesen. Plutarch lallte freylich kin- disch, wie manches, nach, in ganz andern Um- ständen: "welcher gutartige Jüngling wird Phidias oder Polyklet seyn wollen!" Noch brennt mich der Pfeil, den mir Demetri tief ins Leben abdrückte.
Nach der Schlacht bey Plataia bis in den Peloponnesischen Krieg hinein war Athen ein halbes Jahrhundert das Rom von Griechen- land; jeder Bürger über die Inseln und Klein- asien schier Fürst und Herr, und alle Kunst ihm unanständig, die nicht zum Helden und Staats- mann bildete.
Ueberhaupt aber hatte schon vorher Solon mit seinen Fünfhundertschefflern, Reitern, und Halbreitern, und s. f., obgleich von der
Lage
Haͤtt ich in dem glaͤnzenden Zeitalter gelebt, worin Sokrates aufwuchs: ſo haͤtt ich meine Mahlerey gewiß noch eher als er ſeine Bildhaue- rey verlaſſen, und ſie waͤre nicht einmal Spiel fuͤr mich geweſen. Plutarch lallte freylich kin- diſch, wie manches, nach, in ganz andern Um- ſtaͤnden: „welcher gutartige Juͤngling wird Phidias oder Polyklet ſeyn wollen!“ Noch brennt mich der Pfeil, den mir Demetri tief ins Leben abdruͤckte.
Nach der Schlacht bey Plataia bis in den Peloponneſiſchen Krieg hinein war Athen ein halbes Jahrhundert das Rom von Griechen- land; jeder Buͤrger uͤber die Inſeln und Klein- aſien ſchier Fuͤrſt und Herr, und alle Kunſt ihm unanſtaͤndig, die nicht zum Helden und Staats- mann bildete.
Ueberhaupt aber hatte ſchon vorher Solon mit ſeinen Fuͤnfhundertſchefflern, Reitern, und Halbreitern, und ſ. f., obgleich von der
Lage
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Haͤtt ich in dem glaͤnzenden Zeitalter gelebt,
worin Sokrates aufwuchs: ſo haͤtt ich meine
Mahlerey gewiß noch eher als er ſeine Bildhaue-
rey verlaſſen, und ſie waͤre nicht einmal Spiel
fuͤr mich geweſen. Plutarch lallte freylich kin-
diſch, wie manches, nach, in ganz andern Um-
ſtaͤnden: „welcher gutartige Juͤngling wird
Phidias oder Polyklet ſeyn wollen!“ Noch
brennt mich der Pfeil, den mir Demetri tief ins
Leben abdruͤckte.
Nach der Schlacht bey Plataia bis in den
Peloponneſiſchen Krieg hinein war Athen ein
halbes Jahrhundert das Rom von Griechen-
land; jeder Buͤrger uͤber die Inſeln und Klein-
aſien ſchier Fuͤrſt und Herr, und alle Kunſt ihm
unanſtaͤndig, die nicht zum Helden und Staats-
mann bildete.
Ueberhaupt aber hatte ſchon vorher Solon
mit ſeinen Fuͤnfhundertſchefflern, Reitern,
und Halbreitern, und ſ. f., obgleich von der
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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