Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

stellen; aber sie will ihre Freyheit behaupten
und sich platterdings nicht vermählen.

Kurz darauf bracht ich bequemer und freyer
eine ganze Nacht mit ihr zu in ihrem Schlafge-
mach, bis Morgenroth und Sonne die Blumen
ihrer Schönheit bestrahlten, und ich so ganz in
ungestörtem Genusse mein Daseyn mit allen
Sinnen darinnen wiegte. Welche Reden! wel-
che Gefühle! wie schwand die Zeit dahin; wel-
cher süße Scherz, was für Muthwill, was für
Spiel, kindlich und himmlisch! Trunken und
lechzend taumelt ich von dannen. Wohl recht
hatte jener Weise: wenn man die Wollust dem
Leben abzieht, so bleibt nichts als der Tod übrig.
Sie hat so ganz das, was Sappho bey Weibern
allein Grazie nennt, das Liebreizende, was so
oft den schönsten und verständigsten fehlt. Diese
versteht die Kunst zu lieben, und kennt die
Wirklichkeit der Sache mit allen ihren Mannich-
faltigkeiten; sie ist eine Virtuosin darin, und

andre

ſtellen; aber ſie will ihre Freyheit behaupten
und ſich platterdings nicht vermaͤhlen.

Kurz darauf bracht ich bequemer und freyer
eine ganze Nacht mit ihr zu in ihrem Schlafge-
mach, bis Morgenroth und Sonne die Blumen
ihrer Schoͤnheit beſtrahlten, und ich ſo ganz in
ungeſtoͤrtem Genuſſe mein Daſeyn mit allen
Sinnen darinnen wiegte. Welche Reden! wel-
che Gefuͤhle! wie ſchwand die Zeit dahin; wel-
cher ſuͤße Scherz, was fuͤr Muthwill, was fuͤr
Spiel, kindlich und himmliſch! Trunken und
lechzend taumelt ich von dannen. Wohl recht
hatte jener Weiſe: wenn man die Wolluſt dem
Leben abzieht, ſo bleibt nichts als der Tod uͤbrig.
Sie hat ſo ganz das, was Sappho bey Weibern
allein Grazie nennt, das Liebreizende, was ſo
oft den ſchoͤnſten und verſtaͤndigſten fehlt. Dieſe
verſteht die Kunſt zu lieben, und kennt die
Wirklichkeit der Sache mit allen ihren Mannich-
faltigkeiten; ſie iſt eine Virtuoſin darin, und

andre
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="46"/>
&#x017F;tellen; aber &#x017F;ie will ihre Freyheit behaupten<lb/>
und &#x017F;ich platterdings nicht verma&#x0364;hlen.</p><lb/>
          <p>Kurz darauf bracht ich bequemer und freyer<lb/>
eine ganze Nacht mit ihr zu in ihrem Schlafge-<lb/>
mach, bis Morgenroth und Sonne die Blumen<lb/>
ihrer Scho&#x0364;nheit be&#x017F;trahlten, und ich &#x017F;o ganz in<lb/>
unge&#x017F;to&#x0364;rtem Genu&#x017F;&#x017F;e mein Da&#x017F;eyn mit allen<lb/>
Sinnen darinnen wiegte. Welche Reden! wel-<lb/>
che Gefu&#x0364;hle! wie &#x017F;chwand die Zeit dahin; wel-<lb/>
cher &#x017F;u&#x0364;ße Scherz, was fu&#x0364;r Muthwill, was fu&#x0364;r<lb/>
Spiel, kindlich und himmli&#x017F;ch! Trunken und<lb/>
lechzend taumelt ich von dannen. Wohl recht<lb/>
hatte jener Wei&#x017F;e: wenn man die Wollu&#x017F;t dem<lb/>
Leben abzieht, &#x017F;o bleibt nichts als der Tod u&#x0364;brig.<lb/>
Sie hat &#x017F;o ganz das, was Sappho bey Weibern<lb/>
allein Grazie nennt, das Liebreizende, was &#x017F;o<lb/>
oft den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten und ver&#x017F;ta&#x0364;ndig&#x017F;ten fehlt. Die&#x017F;e<lb/>
ver&#x017F;teht die Kun&#x017F;t zu lieben, und kennt die<lb/>
Wirklichkeit der Sache mit allen ihren Mannich-<lb/>
faltigkeiten; &#x017F;ie i&#x017F;t eine Virtuo&#x017F;in darin, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">andre</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0054] ſtellen; aber ſie will ihre Freyheit behaupten und ſich platterdings nicht vermaͤhlen. Kurz darauf bracht ich bequemer und freyer eine ganze Nacht mit ihr zu in ihrem Schlafge- mach, bis Morgenroth und Sonne die Blumen ihrer Schoͤnheit beſtrahlten, und ich ſo ganz in ungeſtoͤrtem Genuſſe mein Daſeyn mit allen Sinnen darinnen wiegte. Welche Reden! wel- che Gefuͤhle! wie ſchwand die Zeit dahin; wel- cher ſuͤße Scherz, was fuͤr Muthwill, was fuͤr Spiel, kindlich und himmliſch! Trunken und lechzend taumelt ich von dannen. Wohl recht hatte jener Weiſe: wenn man die Wolluſt dem Leben abzieht, ſo bleibt nichts als der Tod uͤbrig. Sie hat ſo ganz das, was Sappho bey Weibern allein Grazie nennt, das Liebreizende, was ſo oft den ſchoͤnſten und verſtaͤndigſten fehlt. Dieſe verſteht die Kunſt zu lieben, und kennt die Wirklichkeit der Sache mit allen ihren Mannich- faltigkeiten; ſie iſt eine Virtuoſin darin, und andre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/54
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/54>, abgerufen am 21.11.2024.