der Fechter? Weil ihr Leben in der Vollkommenheit seiner Kraft sich in hoher Wirkung zeigt. Warum Laokoon, Niobe? Weil auch ihr höchstes Leben einer stärkern Macht unterliegt. Der Dichter deutets mit Worten an, der bildende Künstler stellts mit dessen Oberfläche selbst dar."
Zu der Zeit, wo die Menschen am mehr- sten lebten und genossen, war die Kunst am größ- ten: zu der Zeit, wo sie am elendesten waren, am schlechtesten; "dieß ist die Geschichte derselben in wenig Worten."
"Wie bis zum bloßen Thier herabgesunken, kalt und gefühllos muß der Mensch seyn, den es nicht ergreift, dessen Herz es nicht erhebt, wenn er in die Hallen tritt, wo die Helden un- sers Geschlechts, die Weisen, die Dichter von Phidiassen und Praxitelen aufgestellt wie lebendig athmen? der Armseelige wird erschrecken wie in einer Götterversammlung: der Edle schüchterne aber begeistert werden, die glorreiche Bahn zu
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der Fechter? Weil ihr Leben in der Vollkommenheit ſeiner Kraft ſich in hoher Wirkung zeigt. Warum Laokoon, Niobe? Weil auch ihr hoͤchſtes Leben einer ſtaͤrkern Macht unterliegt. Der Dichter deutets mit Worten an, der bildende Kuͤnſtler ſtellts mit deſſen Oberflaͤche ſelbſt dar.“
Zu der Zeit, wo die Menſchen am mehr- ſten lebten und genoſſen, war die Kunſt am groͤß- ten: zu der Zeit, wo ſie am elendeſten waren, am ſchlechteſten; „dieß iſt die Geſchichte derſelben in wenig Worten.“
„Wie bis zum bloßen Thier herabgeſunken, kalt und gefuͤhllos muß der Menſch ſeyn, den es nicht ergreift, deſſen Herz es nicht erhebt, wenn er in die Hallen tritt, wo die Helden un- ſers Geſchlechts, die Weiſen, die Dichter von Phidiaſſen und Praxitelen aufgeſtellt wie lebendig athmen? der Armſeelige wird erſchrecken wie in einer Goͤtterverſammlung: der Edle ſchuͤchterne aber begeiſtert werden, die glorreiche Bahn zu
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der Fechter? Weil ihr Leben in der Vollkommenheit
ſeiner Kraft ſich in hoher Wirkung zeigt. Warum
Laokoon, Niobe? Weil auch ihr hoͤchſtes Leben
einer ſtaͤrkern Macht unterliegt. Der Dichter
deutets mit Worten an, der bildende Kuͤnſtler
ſtellts mit deſſen Oberflaͤche ſelbſt dar.“
Zu der Zeit, wo die Menſchen am mehr-
ſten lebten und genoſſen, war die Kunſt am groͤß-
ten: zu der Zeit, wo ſie am elendeſten waren, am
ſchlechteſten; „dieß iſt die Geſchichte derſelben in
wenig Worten.“
„Wie bis zum bloßen Thier herabgeſunken,
kalt und gefuͤhllos muß der Menſch ſeyn, den
es nicht ergreift, deſſen Herz es nicht erhebt,
wenn er in die Hallen tritt, wo die Helden un-
ſers Geſchlechts, die Weiſen, die Dichter von
Phidiaſſen und Praxitelen aufgeſtellt wie lebendig
athmen? der Armſeelige wird erſchrecken wie in
einer Goͤtterverſammlung: der Edle ſchuͤchterne
aber begeiſtert werden, die glorreiche Bahn zu
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/390>, abgerufen am 25.11.2024.
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