Zeitlichkeit entrückt. Ihre Zeichen, wodurch sie darstellt, scheinen die Sache selbst zu seyn, so leicht verschwinden sie; sie sind die natürlichsten und sichersten, und gelten überall einerley ohne Mißverstand. Ich habe hier volle Gewißheit, da ich bey Poesie immer träumen muß, und nach Wirklichkeit hasche. Bey ihr hab ich alles zu- sammen mit einem Blick, und dieß ergreift den niedrigsten bis zum höchsten. Mit einem Wort: ihr ist allein die Schönheit im strengsten Verstand eigen; denn diese muß mit einem Blick aufgewogen werden können."
Hier wurd er erbittert, und schüttete auf ein- mal das Kind mit samt dem Bad aus; und fiel in meine Rede.
"Alle bildende Kunst behauptete er streng, ist am Ende bloß Oberfläche. Und dieß ist die Ursache, warum wahrhaftig große Menschen unter den Künstlern mit ihren Werken so selten zufrieden waren. Sie konnten nur wenig von
dem
A a
Zeitlichkeit entruͤckt. Ihre Zeichen, wodurch ſie darſtellt, ſcheinen die Sache ſelbſt zu ſeyn, ſo leicht verſchwinden ſie; ſie ſind die natuͤrlichſten und ſicherſten, und gelten uͤberall einerley ohne Mißverſtand. Ich habe hier volle Gewißheit, da ich bey Poeſie immer traͤumen muß, und nach Wirklichkeit haſche. Bey ihr hab ich alles zu- ſammen mit einem Blick, und dieß ergreift den niedrigſten bis zum hoͤchſten. Mit einem Wort: ihr iſt allein die Schoͤnheit im ſtrengſten Verſtand eigen; denn dieſe muß mit einem Blick aufgewogen werden koͤnnen.“
Hier wurd er erbittert, und ſchuͤttete auf ein- mal das Kind mit ſamt dem Bad aus; und fiel in meine Rede.
„Alle bildende Kunſt behauptete er ſtreng, iſt am Ende bloß Oberflaͤche. Und dieß iſt die Urſache, warum wahrhaftig große Menſchen unter den Kuͤnſtlern mit ihren Werken ſo ſelten zufrieden waren. Sie konnten nur wenig von
dem
A a
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0375"n="369"/>
Zeitlichkeit entruͤckt. Ihre Zeichen, wodurch<lb/>ſie darſtellt, ſcheinen die Sache ſelbſt zu ſeyn, ſo<lb/>
leicht verſchwinden ſie; ſie ſind die natuͤrlichſten<lb/>
und ſicherſten, und gelten uͤberall einerley ohne<lb/>
Mißverſtand. Ich habe hier volle Gewißheit,<lb/>
da ich bey Poeſie immer traͤumen muß, und nach<lb/>
Wirklichkeit haſche. Bey ihr hab ich alles zu-<lb/>ſammen mit einem Blick, und dieß ergreift den<lb/>
niedrigſten bis zum hoͤchſten. Mit einem Wort:<lb/>
ihr iſt allein die Schoͤnheit im ſtrengſten Verſtand<lb/>
eigen; denn dieſe muß mit einem Blick aufgewogen<lb/>
werden koͤnnen.“</p><lb/><p>Hier wurd er erbittert, und ſchuͤttete auf ein-<lb/>
mal das Kind mit ſamt dem Bad aus; und fiel<lb/>
in meine Rede.</p><lb/><p>„Alle bildende Kunſt behauptete er ſtreng,<lb/>
iſt am Ende bloß Oberflaͤche. Und dieß iſt die<lb/>
Urſache, warum wahrhaftig große Menſchen<lb/>
unter den Kuͤnſtlern mit ihren Werken ſo ſelten<lb/>
zufrieden waren. Sie konnten nur wenig von<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A a</fw><fwplace="bottom"type="catch">dem</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[369/0375]
Zeitlichkeit entruͤckt. Ihre Zeichen, wodurch
ſie darſtellt, ſcheinen die Sache ſelbſt zu ſeyn, ſo
leicht verſchwinden ſie; ſie ſind die natuͤrlichſten
und ſicherſten, und gelten uͤberall einerley ohne
Mißverſtand. Ich habe hier volle Gewißheit,
da ich bey Poeſie immer traͤumen muß, und nach
Wirklichkeit haſche. Bey ihr hab ich alles zu-
ſammen mit einem Blick, und dieß ergreift den
niedrigſten bis zum hoͤchſten. Mit einem Wort:
ihr iſt allein die Schoͤnheit im ſtrengſten Verſtand
eigen; denn dieſe muß mit einem Blick aufgewogen
werden koͤnnen.“
Hier wurd er erbittert, und ſchuͤttete auf ein-
mal das Kind mit ſamt dem Bad aus; und fiel
in meine Rede.
„Alle bildende Kunſt behauptete er ſtreng,
iſt am Ende bloß Oberflaͤche. Und dieß iſt die
Urſache, warum wahrhaftig große Menſchen
unter den Kuͤnſtlern mit ihren Werken ſo ſelten
zufrieden waren. Sie konnten nur wenig von
dem
A a
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/375>, abgerufen am 15.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.