wohlbefindet, oder gar abgesondert wäre, ist ein Ungeheuer, eine Mißgeburt.
Ein Despot also, das ist, ein Mensch, der ohne Gesetze, die aus dem Wohl des Ganzen entspringen, über die andern herrscht, bloß nach seinem Gutbefinden, ist kein Kopf am Ganzen des Staats, sondern ein Ungeziefer, ein Bendel- wurm im Leibe, eine Laus, Mücke, Wespe, das sich nach Lust an seinem Blute nährt; oder will man lieber: ein Hirt, weil doch dieß das beliebte Gleichniß ist, der seine Schaafe schiert und melkt, und die jungen Lämmer schlachtet und die fetten Alten, wahrlich nicht zu ihrem Besten, sondern zu seinem Besten.
Der Staat ist endlich ein Thier, das seine Gesetze hat, weder von Kühen noch Schaafen, sondern von der Natur des Menschen, weil er aus Menschen besteht; und kein Mensch ist so über andre, wie ein Hirt über seine Heerde. Ein vollkommner Staat muß ein Thier seyn, das
sich
wohlbefindet, oder gar abgeſondert waͤre, iſt ein Ungeheuer, eine Mißgeburt.
Ein Despot alſo, das iſt, ein Menſch, der ohne Geſetze, die aus dem Wohl des Ganzen entſpringen, uͤber die andern herrſcht, bloß nach ſeinem Gutbefinden, iſt kein Kopf am Ganzen des Staats, ſondern ein Ungeziefer, ein Bendel- wurm im Leibe, eine Laus, Muͤcke, Wespe, das ſich nach Luſt an ſeinem Blute naͤhrt; oder will man lieber: ein Hirt, weil doch dieß das beliebte Gleichniß iſt, der ſeine Schaafe ſchiert und melkt, und die jungen Laͤmmer ſchlachtet und die fetten Alten, wahrlich nicht zu ihrem Beſten, ſondern zu ſeinem Beſten.
Der Staat iſt endlich ein Thier, das ſeine Geſetze hat, weder von Kuͤhen noch Schaafen, ſondern von der Natur des Menſchen, weil er aus Menſchen beſteht; und kein Menſch iſt ſo uͤber andre, wie ein Hirt uͤber ſeine Heerde. Ein vollkommner Staat muß ein Thier ſeyn, das
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wohlbefindet, oder gar abgeſondert waͤre, iſt ein
Ungeheuer, eine Mißgeburt.
Ein Despot alſo, das iſt, ein Menſch, der
ohne Geſetze, die aus dem Wohl des Ganzen
entſpringen, uͤber die andern herrſcht, bloß nach
ſeinem Gutbefinden, iſt kein Kopf am Ganzen
des Staats, ſondern ein Ungeziefer, ein Bendel-
wurm im Leibe, eine Laus, Muͤcke, Wespe,
das ſich nach Luſt an ſeinem Blute naͤhrt; oder
will man lieber: ein Hirt, weil doch dieß das
beliebte Gleichniß iſt, der ſeine Schaafe ſchiert
und melkt, und die jungen Laͤmmer ſchlachtet
und die fetten Alten, wahrlich nicht zu ihrem
Beſten, ſondern zu ſeinem Beſten.
Der Staat iſt endlich ein Thier, das ſeine
Geſetze hat, weder von Kuͤhen noch Schaafen,
ſondern von der Natur des Menſchen, weil er
aus Menſchen beſteht; und kein Menſch iſt ſo
uͤber andre, wie ein Hirt uͤber ſeine Heerde.
Ein vollkommner Staat muß ein Thier ſeyn, das
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/304>, abgerufen am 22.11.2024.
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