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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

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standen Blumenstöcke; vor der Magdalena auf-
geblühte Rosen und Knospen, vor der Madonna
Lilien und Nelcken, die sie sich selbst den Winter
erzog. Auf dem Tische vor jener lagen die
Gedichte des Petrarca; und Schreibzeug, Fe-
dern und Dinte und Papier und beschriebne Blät-
ter. Ich las das eine, wo ausgestrichen und
verändert war: und fand das Lied im Provenza-
lischen, was sie gesungen hatte. Das wußt ich
auch noch nicht, daß sie ihre Gefühle in so schöne
Form von Worten bringen konnte: mir wallte
dabey eine Gluht nach der andern auf im Herzen.
Petrarka war das gediegenste, immer gerade das
wenige Vortreflichste, mit ausgetrockneten ver-
schiednen Blumenblättern belegt und bezeichnet;
besonders in den Reimen nach dem Tode der
Laura. Neben der Madonna stand ihre Neh-
arbeit in einem Rahmen; sie hatte angefan-
gen, die lebendigen Rosen und Lilien vor sich da-
hinein zu sticken. Mich überlief ein Schauder,

als

ſtanden Blumenſtoͤcke; vor der Magdalena auf-
gebluͤhte Roſen und Knospen, vor der Madonna
Lilien und Nelcken, die ſie ſich ſelbſt den Winter
erzog. Auf dem Tiſche vor jener lagen die
Gedichte des Petrarca; und Schreibzeug, Fe-
dern und Dinte und Papier und beſchriebne Blaͤt-
ter. Ich las das eine, wo ausgeſtrichen und
veraͤndert war: und fand das Lied im Provenza-
liſchen, was ſie geſungen hatte. Das wußt ich
auch noch nicht, daß ſie ihre Gefuͤhle in ſo ſchoͤne
Form von Worten bringen konnte: mir wallte
dabey eine Gluht nach der andern auf im Herzen.
Petrarka war das gediegenſte, immer gerade das
wenige Vortreflichſte, mit ausgetrockneten ver-
ſchiednen Blumenblaͤttern belegt und bezeichnet;
beſonders in den Reimen nach dem Tode der
Laura. Neben der Madonna ſtand ihre Neh-
arbeit in einem Rahmen; ſie hatte angefan-
gen, die lebendigen Roſen und Lilien vor ſich da-
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[223/0229] ſtanden Blumenſtoͤcke; vor der Magdalena auf- gebluͤhte Roſen und Knospen, vor der Madonna Lilien und Nelcken, die ſie ſich ſelbſt den Winter erzog. Auf dem Tiſche vor jener lagen die Gedichte des Petrarca; und Schreibzeug, Fe- dern und Dinte und Papier und beſchriebne Blaͤt- ter. Ich las das eine, wo ausgeſtrichen und veraͤndert war: und fand das Lied im Provenza- liſchen, was ſie geſungen hatte. Das wußt ich auch noch nicht, daß ſie ihre Gefuͤhle in ſo ſchoͤne Form von Worten bringen konnte: mir wallte dabey eine Gluht nach der andern auf im Herzen. Petrarka war das gediegenſte, immer gerade das wenige Vortreflichſte, mit ausgetrockneten ver- ſchiednen Blumenblaͤttern belegt und bezeichnet; beſonders in den Reimen nach dem Tode der Laura. Neben der Madonna ſtand ihre Neh- arbeit in einem Rahmen; ſie hatte angefan- gen, die lebendigen Roſen und Lilien vor ſich da- hinein zu ſticken. Mich uͤberlief ein Schauder, als

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Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/229>, abgerufen am 25.11.2024.