Haupte, und mit einem großen Holzkreuz auf der Schulter; und er warf das Kreuz auf den hohen Göttertisch, daß die goldnen Pokale zitterten, und die Götter verstummten und erblichen, und immer bleicher wurden, bis sie endlich ganz in Nebel zerrannen.
Nun gabs eine traurige Zeit, und die Welt wurde grau und dunkel. Es gab keine glücklichen Götter mehr, der Olymp wurde ein Lazareth wo geschundene, gebratene und gespießte Götter lang¬ weilig umherschlichen, und ihre Wunden verban¬ den und triste Lieder sangen. Die Religion ge¬ währte keine Freude mehr, sondern Trost; es war eine trübselige, blutrünstige Delinquentenreligion.
War sie vielleicht nöthig für die erkrankte und zertretene Menschheit? Wer seinen Gott leiden sieht, trägt leichter die eignen Schmerzen. Die vorigen heiteren Götter, die selbst keine Schmerzen fühlten, wußten auch nicht wie armen gequälten Menschen zu Muthe ist, und ein armer gequälter
Haupte, und mit einem großen Holzkreuz auf der Schulter; und er warf das Kreuz auf den hohen Goͤttertiſch, daß die goldnen Pokale zitterten, und die Goͤtter verſtummten und erblichen, und immer bleicher wurden, bis ſie endlich ganz in Nebel zerrannen.
Nun gabs eine traurige Zeit, und die Welt wurde grau und dunkel. Es gab keine gluͤcklichen Goͤtter mehr, der Olymp wurde ein Lazareth wo geſchundene, gebratene und geſpießte Goͤtter lang¬ weilig umherſchlichen, und ihre Wunden verban¬ den und triſte Lieder ſangen. Die Religion ge¬ waͤhrte keine Freude mehr, ſondern Troſt; es war eine truͤbſelige, blutruͤnſtige Delinquentenreligion.
War ſie vielleicht noͤthig fuͤr die erkrankte und zertretene Menſchheit? Wer ſeinen Gott leiden ſieht, traͤgt leichter die eignen Schmerzen. Die vorigen heiteren Goͤtter, die ſelbſt keine Schmerzen fuͤhlten, wußten auch nicht wie armen gequaͤlten Menſchen zu Muthe iſt, und ein armer gequaͤlter
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0057"n="43"/>
Haupte, und mit einem großen Holzkreuz auf der<lb/>
Schulter; und er warf das Kreuz auf den hohen<lb/>
Goͤttertiſch, daß die goldnen Pokale zitterten, und<lb/>
die Goͤtter verſtummten und erblichen, und immer<lb/>
bleicher wurden, bis ſie endlich ganz in Nebel<lb/>
zerrannen.</p><lb/><p>Nun gabs eine traurige Zeit, und die Welt<lb/>
wurde grau und dunkel. Es gab keine gluͤcklichen<lb/>
Goͤtter mehr, der Olymp wurde ein Lazareth wo<lb/>
geſchundene, gebratene und geſpießte Goͤtter lang¬<lb/>
weilig umherſchlichen, und ihre Wunden verban¬<lb/>
den und triſte Lieder ſangen. Die Religion ge¬<lb/>
waͤhrte keine Freude mehr, ſondern Troſt; es war<lb/>
eine truͤbſelige, blutruͤnſtige <choice><sic>Deliquentenreligion</sic><corr>Delinquentenreligion</corr></choice>.</p><lb/><p>War ſie vielleicht noͤthig fuͤr die erkrankte und<lb/>
zertretene Menſchheit? Wer ſeinen Gott leiden<lb/>ſieht, traͤgt leichter die eignen Schmerzen. Die<lb/>
vorigen heiteren Goͤtter, die ſelbſt keine Schmerzen<lb/>
fuͤhlten, wußten auch nicht wie armen gequaͤlten<lb/>
Menſchen zu Muthe iſt, und ein armer gequaͤlter<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[43/0057]
Haupte, und mit einem großen Holzkreuz auf der
Schulter; und er warf das Kreuz auf den hohen
Goͤttertiſch, daß die goldnen Pokale zitterten, und
die Goͤtter verſtummten und erblichen, und immer
bleicher wurden, bis ſie endlich ganz in Nebel
zerrannen.
Nun gabs eine traurige Zeit, und die Welt
wurde grau und dunkel. Es gab keine gluͤcklichen
Goͤtter mehr, der Olymp wurde ein Lazareth wo
geſchundene, gebratene und geſpießte Goͤtter lang¬
weilig umherſchlichen, und ihre Wunden verban¬
den und triſte Lieder ſangen. Die Religion ge¬
waͤhrte keine Freude mehr, ſondern Troſt; es war
eine truͤbſelige, blutruͤnſtige Delinquentenreligion.
War ſie vielleicht noͤthig fuͤr die erkrankte und
zertretene Menſchheit? Wer ſeinen Gott leiden
ſieht, traͤgt leichter die eignen Schmerzen. Die
vorigen heiteren Goͤtter, die ſelbſt keine Schmerzen
fuͤhlten, wußten auch nicht wie armen gequaͤlten
Menſchen zu Muthe iſt, und ein armer gequaͤlter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/57>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.