Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

wahrhaft schildert. Man erzeigt dem schottischen
Barden zu viele Ehre, wenn man glaubt, sein
Genius habe die äußere Erscheinung und innere
Denkweise dieser beiden Partheyen der Geschichte
nachgeschaffen, und es sey ein Zeichen seiner Dich¬
tergröße, daß er, vorurtheilsfrei wie ein richtender
Gott, beyden ihr Recht anthut und beyde mit
gleicher Liebe behandelt. Wirft man nur einen
Blick in die Betstuben von Liverpool oder Man¬
chester, und dann in die fashionablen Saloons
von West-London, so sieht man deutlich, daß
Walter Scott blos seine eigene Zeit abgeschrieben
und ganz heutige Gestalten in alte Trachten ge¬
kleidet hat. Bedenkt man gar, daß er von der
einen Seite selbst als Schotte, durch Erziehung
und Nationalgeist, eine puritanische Denkweise
eingesogen hat, auf der andern Seite, als Tory,
der sich gar ein Sprößling der Stuarts dünkt,
von ganzer Seele recht königlich und adelthümlich
gesinnt seyn muß, und daher seine Gefühle und

wahrhaft ſchildert. Man erzeigt dem ſchottiſchen
Barden zu viele Ehre, wenn man glaubt, ſein
Genius habe die aͤußere Erſcheinung und innere
Denkweiſe dieſer beiden Partheyen der Geſchichte
nachgeſchaffen, und es ſey ein Zeichen ſeiner Dich¬
tergroͤße, daß er, vorurtheilsfrei wie ein richtender
Gott, beyden ihr Recht anthut und beyde mit
gleicher Liebe behandelt. Wirft man nur einen
Blick in die Betſtuben von Liverpool oder Man¬
cheſter, und dann in die faſhionablen Saloons
von Weſt-London, ſo ſieht man deutlich, daß
Walter Scott blos ſeine eigene Zeit abgeſchrieben
und ganz heutige Geſtalten in alte Trachten ge¬
kleidet hat. Bedenkt man gar, daß er von der
einen Seite ſelbſt als Schotte, durch Erziehung
und Nationalgeiſt, eine puritaniſche Denkweiſe
eingeſogen hat, auf der andern Seite, als Tory,
der ſich gar ein Sproͤßling der Stuarts duͤnkt,
von ganzer Seele recht koͤniglich und adelthuͤmlich
geſinnt ſeyn muß, und daher ſeine Gefuͤhle und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0189" n="175"/>
wahrhaft &#x017F;childert. Man erzeigt dem &#x017F;chotti&#x017F;chen<lb/>
Barden zu viele Ehre, wenn man glaubt, &#x017F;ein<lb/>
Genius habe die a&#x0364;ußere Er&#x017F;cheinung und innere<lb/>
Denkwei&#x017F;e die&#x017F;er beiden Partheyen der Ge&#x017F;chichte<lb/>
nachge&#x017F;chaffen, und es &#x017F;ey ein Zeichen &#x017F;einer Dich¬<lb/>
tergro&#x0364;ße, daß er, vorurtheilsfrei wie ein richtender<lb/>
Gott, beyden ihr Recht anthut und beyde mit<lb/>
gleicher Liebe behandelt. Wirft man nur einen<lb/>
Blick in die Bet&#x017F;tuben von Liverpool oder Man¬<lb/>
che&#x017F;ter, und dann in die fa&#x017F;hionablen Saloons<lb/>
von We&#x017F;t-London, &#x017F;o &#x017F;ieht man deutlich, daß<lb/>
Walter Scott blos &#x017F;eine eigene Zeit abge&#x017F;chrieben<lb/>
und ganz heutige Ge&#x017F;talten in alte Trachten ge¬<lb/>
kleidet hat. Bedenkt man gar, daß er von der<lb/>
einen Seite &#x017F;elb&#x017F;t als Schotte, durch Erziehung<lb/>
und Nationalgei&#x017F;t, eine puritani&#x017F;che Denkwei&#x017F;e<lb/>
einge&#x017F;ogen hat, auf der andern Seite, als Tory,<lb/>
der &#x017F;ich gar ein Spro&#x0364;ßling der Stuarts du&#x0364;nkt,<lb/>
von ganzer Seele recht ko&#x0364;niglich und adelthu&#x0364;mlich<lb/>
ge&#x017F;innt &#x017F;eyn muß, und daher &#x017F;eine Gefu&#x0364;hle und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0189] wahrhaft ſchildert. Man erzeigt dem ſchottiſchen Barden zu viele Ehre, wenn man glaubt, ſein Genius habe die aͤußere Erſcheinung und innere Denkweiſe dieſer beiden Partheyen der Geſchichte nachgeſchaffen, und es ſey ein Zeichen ſeiner Dich¬ tergroͤße, daß er, vorurtheilsfrei wie ein richtender Gott, beyden ihr Recht anthut und beyde mit gleicher Liebe behandelt. Wirft man nur einen Blick in die Betſtuben von Liverpool oder Man¬ cheſter, und dann in die faſhionablen Saloons von Weſt-London, ſo ſieht man deutlich, daß Walter Scott blos ſeine eigene Zeit abgeſchrieben und ganz heutige Geſtalten in alte Trachten ge¬ kleidet hat. Bedenkt man gar, daß er von der einen Seite ſelbſt als Schotte, durch Erziehung und Nationalgeiſt, eine puritaniſche Denkweiſe eingeſogen hat, auf der andern Seite, als Tory, der ſich gar ein Sproͤßling der Stuarts duͤnkt, von ganzer Seele recht koͤniglich und adelthuͤmlich geſinnt ſeyn muß, und daher ſeine Gefuͤhle und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/189
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/189>, abgerufen am 24.11.2024.