man einmal hinein -- und erschrickt ob der Welt von Jammer, die man darin geschaut hat. Die gewöhnlichen Bettler sind alte Leute, meistens Mohren, die an den Straßenecken stehen, und, was im kothigen London sehr nützlich ist, einen Pfad für Fußgänger kehren und dafür eine Kupfer¬ münze verlangen. Die Armuth in Gesellschaft des Lasters und des Verbrechens schleicht erst des Abends aus ihren Schlupfwinkeln. Sie scheut das Tageslicht um so ängstlicher, je grauenhafter ihr Elend kontrastirt mit dem Uebermuthe des Reich¬ thums, der überall hervorprunkt; nur der Hunger treibt sie manchmal um Mittagszeit aus dem dun¬ keln Gäßchen, und da steht sie mit stummen, spre¬ chenden Augen und starrt flehend empor zu dem rei¬ chen Kaufmann, der geschäftig-geldklimpernd vor¬ übereilt, oder zu dem müßigen Lord, der, wie ein satter Gott, auf hohem Roß einherreitet und auf das Menschengewühl unter ihm dann und wann einen gleichgültig vornehmen Blick wirft,
man einmal hinein — und erſchrickt ob der Welt von Jammer, die man darin geſchaut hat. Die gewoͤhnlichen Bettler ſind alte Leute, meiſtens Mohren, die an den Straßenecken ſtehen, und, was im kothigen London ſehr nuͤtzlich iſt, einen Pfad fuͤr Fußgaͤnger kehren und dafuͤr eine Kupfer¬ muͤnze verlangen. Die Armuth in Geſellſchaft des Laſters und des Verbrechens ſchleicht erſt des Abends aus ihren Schlupfwinkeln. Sie ſcheut das Tageslicht um ſo aͤngſtlicher, je grauenhafter ihr Elend kontraſtirt mit dem Uebermuthe des Reich¬ thums, der uͤberall hervorprunkt; nur der Hunger treibt ſie manchmal um Mittagszeit aus dem dun¬ keln Gaͤßchen, und da ſteht ſie mit ſtummen, ſpre¬ chenden Augen und ſtarrt flehend empor zu dem rei¬ chen Kaufmann, der geſchaͤftig-geldklimpernd vor¬ uͤbereilt, oder zu dem muͤßigen Lord, der, wie ein ſatter Gott, auf hohem Roß einherreitet und auf das Menſchengewuͤhl unter ihm dann und wann einen gleichguͤltig vornehmen Blick wirft,
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man einmal hinein — und erſchrickt ob der Welt
von Jammer, die man darin geſchaut hat. Die
gewoͤhnlichen Bettler ſind alte Leute, meiſtens
Mohren, die an den Straßenecken ſtehen, und,
was im kothigen London ſehr nuͤtzlich iſt, einen
Pfad fuͤr Fußgaͤnger kehren und dafuͤr eine Kupfer¬
muͤnze verlangen. Die Armuth in Geſellſchaft
des Laſters und des Verbrechens ſchleicht erſt des
Abends aus ihren Schlupfwinkeln. Sie ſcheut das
Tageslicht um ſo aͤngſtlicher, je grauenhafter ihr
Elend kontraſtirt mit dem Uebermuthe des Reich¬
thums, der uͤberall hervorprunkt; nur der Hunger
treibt ſie manchmal um Mittagszeit aus dem dun¬
keln Gaͤßchen, und da ſteht ſie mit ſtummen, ſpre¬
chenden Augen und ſtarrt flehend empor zu dem rei¬
chen Kaufmann, der geſchaͤftig-geldklimpernd vor¬
uͤbereilt, oder zu dem muͤßigen Lord, der, wie
ein ſatter Gott, auf hohem Roß einherreitet und
auf das Menſchengewuͤhl unter ihm dann und
wann einen gleichguͤltig vornehmen Blick wirft,
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/180>, abgerufen am 28.11.2024.
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