hunderte, als es selbst noch seinem göttlichen Stif¬ ter glich im Heldenthum des Leidens. Da wars noch die schöne Legende von einem heimlichen Gotte, der in sanfter Jünglingsgestalt unter den Palmen Palästinas wandelte, und Menschenliebe predigte, und jene Freiheit- und Gleichheitslehre offenbarte, die auch später die Vernunft der größten Denker als wahr erkannt hat, und die, als französisches Evangelium, unsere Zeit begeistert. Mit jener Re¬ ligion Christi vergleiche man die verschiedenen Chri¬ stenthümer, die in den verschiedenen Ländern als Staatsreligionen konstituirt worden, z. B. die rö¬ misch apostolisch katholische Kirche, oder gar jenen Katholizismus ohne Poesie, den wir als High Church of England herrschen sehen, jenes kläglich morsche Glaubensskelet, worin alles blühende Leben erloschen ist! Wie den Gewerben ist auch den Religionen das Monopolsystem schädlich, durch freye Conkurenz bleiben sie kräftig, und sie werden erst dann zu ih¬ rer ursprünglichen Herrlichkeit wieder erblühen, so¬
hunderte, als es ſelbſt noch ſeinem goͤttlichen Stif¬ ter glich im Heldenthum des Leidens. Da wars noch die ſchoͤne Legende von einem heimlichen Gotte, der in ſanfter Juͤnglingsgeſtalt unter den Palmen Palaͤſtinas wandelte, und Menſchenliebe predigte, und jene Freiheit- und Gleichheitslehre offenbarte, die auch ſpaͤter die Vernunft der groͤßten Denker als wahr erkannt hat, und die, als franzoͤſiſches Evangelium, unſere Zeit begeiſtert. Mit jener Re¬ ligion Chriſti vergleiche man die verſchiedenen Chri¬ ſtenthuͤmer, die in den verſchiedenen Laͤndern als Staatsreligionen konſtituirt worden, z. B. die roͤ¬ miſch apoſtoliſch katholiſche Kirche, oder gar jenen Katholizismus ohne Poeſie, den wir als High Church of England herrſchen ſehen, jenes klaͤglich morſche Glaubensſkelet, worin alles bluͤhende Leben erloſchen iſt! Wie den Gewerben iſt auch den Religionen das Monopolſyſtem ſchaͤdlich, durch freye Conkurenz bleiben ſie kraͤftig, und ſie werden erſt dann zu ih¬ rer urſpruͤnglichen Herrlichkeit wieder erbluͤhen, ſo¬
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hunderte, als es ſelbſt noch ſeinem goͤttlichen Stif¬
ter glich im Heldenthum des Leidens. Da wars
noch die ſchoͤne Legende von einem heimlichen Gotte,
der in ſanfter Juͤnglingsgeſtalt unter den Palmen
Palaͤſtinas wandelte, und Menſchenliebe predigte,
und jene Freiheit- und Gleichheitslehre offenbarte,
die auch ſpaͤter die Vernunft der groͤßten Denker
als wahr erkannt hat, und die, als franzoͤſiſches
Evangelium, unſere Zeit begeiſtert. Mit jener Re¬
ligion Chriſti vergleiche man die verſchiedenen Chri¬
ſtenthuͤmer, die in den verſchiedenen Laͤndern als
Staatsreligionen konſtituirt worden, z. B. die roͤ¬
miſch apoſtoliſch katholiſche Kirche, oder gar jenen
Katholizismus ohne Poeſie, den wir als High Church
of England herrſchen ſehen, jenes klaͤglich morſche
Glaubensſkelet, worin alles bluͤhende Leben erloſchen
iſt! Wie den Gewerben iſt auch den Religionen
das Monopolſyſtem ſchaͤdlich, durch freye Conkurenz
bleiben ſie kraͤftig, und ſie werden erſt dann zu ih¬
rer urſpruͤnglichen Herrlichkeit wieder erbluͤhen, ſo¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/124>, abgerufen am 22.11.2024.
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