Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

seiner Religion besonders anzupreisen, oder gar sie
jemanden aufzudringen. Die Religion war eine
liebe Tradizion, heilige Geschichten, Erinnerungs¬
feyer und Mysterien, überliefert von den Vorfah¬
ren, gleichsam Familiensakra des Volks, und ei¬
nem Griechen wäre es ein Greuel gewesen, wenn
ein Fremder, der nicht von seinem Geschlechte,
eine Religionsgenossenschaft mit ihm verlangt hätte;
noch mehr würde er es für eine Unmenschlichkeit
gehalten haben, irgend jemand, durch Zwang oder
List, dahinzubringen, seine angeborene Religion
aufzugeben und eine fremde dafür anzunehmen.
Da kam aber ein Volk aus Egypten, dem Vater¬
land der Krokodille und des Priesterthums, und
außer den Hautkrankheiten und den gestohlenen
Gold- und Silbergeschirren, brachte es auch eine
sogenannte positive Religion mit, eine sogenannte
Kirche, ein Gerüste von Dogmen, an die man
glauben, und heiliger Ceremonien, die man feyern
mußte, ein Vorbild der späteren Staatsreligio¬

ſeiner Religion beſonders anzupreiſen, oder gar ſie
jemanden aufzudringen. Die Religion war eine
liebe Tradizion, heilige Geſchichten, Erinnerungs¬
feyer und Myſterien, uͤberliefert von den Vorfah¬
ren, gleichſam Familienſakra des Volks, und ei¬
nem Griechen waͤre es ein Greuel geweſen, wenn
ein Fremder, der nicht von ſeinem Geſchlechte,
eine Religionsgenoſſenſchaft mit ihm verlangt haͤtte;
noch mehr wuͤrde er es fuͤr eine Unmenſchlichkeit
gehalten haben, irgend jemand, durch Zwang oder
Liſt, dahinzubringen, ſeine angeborene Religion
aufzugeben und eine fremde dafuͤr anzunehmen.
Da kam aber ein Volk aus Egypten, dem Vater¬
land der Krokodille und des Prieſterthums, und
außer den Hautkrankheiten und den geſtohlenen
Gold- und Silbergeſchirren, brachte es auch eine
ſogenannte poſitive Religion mit, eine ſogenannte
Kirche, ein Geruͤſte von Dogmen, an die man
glauben, und heiliger Ceremonien, die man feyern
mußte, ein Vorbild der ſpaͤteren Staatsreligio¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0115" n="101"/>
&#x017F;einer Religion be&#x017F;onders anzuprei&#x017F;en, oder gar &#x017F;ie<lb/>
jemanden aufzudringen. Die Religion war eine<lb/>
liebe Tradizion, heilige Ge&#x017F;chichten, Erinnerungs¬<lb/>
feyer und My&#x017F;terien, u&#x0364;berliefert von den Vorfah¬<lb/>
ren, gleich&#x017F;am Familien&#x017F;akra des Volks, und ei¬<lb/>
nem Griechen wa&#x0364;re es ein Greuel gewe&#x017F;en, wenn<lb/>
ein Fremder, der nicht von &#x017F;einem Ge&#x017F;chlechte,<lb/>
eine Religionsgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft mit ihm verlangt ha&#x0364;tte;<lb/>
noch mehr wu&#x0364;rde er es fu&#x0364;r eine Unmen&#x017F;chlichkeit<lb/>
gehalten haben, irgend jemand, durch Zwang oder<lb/>
Li&#x017F;t, dahinzubringen, &#x017F;eine angeborene Religion<lb/>
aufzugeben und eine fremde dafu&#x0364;r anzunehmen.<lb/>
Da kam aber ein Volk aus Egypten, dem Vater¬<lb/>
land der Krokodille und des Prie&#x017F;terthums, und<lb/>
außer den Hautkrankheiten und den ge&#x017F;tohlenen<lb/>
Gold- und Silberge&#x017F;chirren, brachte es auch eine<lb/>
&#x017F;ogenannte po&#x017F;itive Religion mit, eine &#x017F;ogenannte<lb/>
Kirche, ein Geru&#x0364;&#x017F;te von Dogmen, an die man<lb/>
glauben, und heiliger Ceremonien, die man feyern<lb/>
mußte, ein Vorbild der &#x017F;pa&#x0364;teren Staatsreligio¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0115] ſeiner Religion beſonders anzupreiſen, oder gar ſie jemanden aufzudringen. Die Religion war eine liebe Tradizion, heilige Geſchichten, Erinnerungs¬ feyer und Myſterien, uͤberliefert von den Vorfah¬ ren, gleichſam Familienſakra des Volks, und ei¬ nem Griechen waͤre es ein Greuel geweſen, wenn ein Fremder, der nicht von ſeinem Geſchlechte, eine Religionsgenoſſenſchaft mit ihm verlangt haͤtte; noch mehr wuͤrde er es fuͤr eine Unmenſchlichkeit gehalten haben, irgend jemand, durch Zwang oder Liſt, dahinzubringen, ſeine angeborene Religion aufzugeben und eine fremde dafuͤr anzunehmen. Da kam aber ein Volk aus Egypten, dem Vater¬ land der Krokodille und des Prieſterthums, und außer den Hautkrankheiten und den geſtohlenen Gold- und Silbergeſchirren, brachte es auch eine ſogenannte poſitive Religion mit, eine ſogenannte Kirche, ein Geruͤſte von Dogmen, an die man glauben, und heiliger Ceremonien, die man feyern mußte, ein Vorbild der ſpaͤteren Staatsreligio¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/115
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/115>, abgerufen am 25.11.2024.