"einen Bären anbinden" entstanden ist. Viele Bären wohnen in der Stadt selbst, ja man sagt Berlin verdanke seine Entstehung den Bären, und hieße eigentlich Bärlin. Die Stadtbären sind aber übrigens sehr zahm und einige darunter so gebildet, daß sie die schönsten Tragödien schreiben und die herrlichste Musik komponiren. Die Wölfe sind dort ebenfalls häufig, und da sie, der Kälte wegen, warschauer Schafpelze tragen, sind sie nicht so leicht zu erkennen. Schneegänse flattern dort umher und singen Bravourarien, und Renn¬ thiere rennen da herum als Kunstkenner. Uebri¬ gens leben die Berliner sehr mäßig und fleißig, und die meisten sitzen bis am Nabel im Schnee und schreiben Dogmatiken, Erbauungsbücher, Re¬ ligionsgeschichten für Töchter gebildeter Stände, Kathechismen, Predigten für alle Tage im Jahr, Elohagedichte, und sind dabey sehr moralisch, denn sie sitzen bis am Nabel im Schnee.
„einen Baͤren anbinden“ entſtanden iſt. Viele Baͤren wohnen in der Stadt ſelbſt, ja man ſagt Berlin verdanke ſeine Entſtehung den Baͤren, und hieße eigentlich Baͤrlin. Die Stadtbaͤren ſind aber uͤbrigens ſehr zahm und einige darunter ſo gebildet, daß ſie die ſchoͤnſten Tragoͤdien ſchreiben und die herrlichſte Muſik komponiren. Die Woͤlfe ſind dort ebenfalls haͤufig, und da ſie, der Kaͤlte wegen, warſchauer Schafpelze tragen, ſind ſie nicht ſo leicht zu erkennen. Schneegaͤnſe flattern dort umher und ſingen Bravourarien, und Renn¬ thiere rennen da herum als Kunſtkenner. Uebri¬ gens leben die Berliner ſehr maͤßig und fleißig, und die meiſten ſitzen bis am Nabel im Schnee und ſchreiben Dogmatiken, Erbauungsbuͤcher, Re¬ ligionsgeſchichten fuͤr Toͤchter gebildeter Staͤnde, Kathechismen, Predigten fuͤr alle Tage im Jahr, Elohagedichte, und ſind dabey ſehr moraliſch, denn ſie ſitzen bis am Nabel im Schnee.
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„einen Baͤren anbinden“ entſtanden iſt. Viele
Baͤren wohnen in der Stadt ſelbſt, ja man ſagt
Berlin verdanke ſeine Entſtehung den Baͤren, und
hieße eigentlich Baͤrlin. Die Stadtbaͤren ſind
aber uͤbrigens ſehr zahm und einige darunter ſo
gebildet, daß ſie die ſchoͤnſten Tragoͤdien ſchreiben
und die herrlichſte Muſik komponiren. Die Woͤlfe
ſind dort ebenfalls haͤufig, und da ſie, der Kaͤlte
wegen, warſchauer Schafpelze tragen, ſind ſie
nicht ſo leicht zu erkennen. Schneegaͤnſe flattern
dort umher und ſingen Bravourarien, und Renn¬
thiere rennen da herum als Kunſtkenner. Uebri¬
gens leben die Berliner ſehr maͤßig und fleißig,
und die meiſten ſitzen bis am Nabel im Schnee
und ſchreiben Dogmatiken, Erbauungsbuͤcher, Re¬
ligionsgeſchichten fuͤr Toͤchter gebildeter Staͤnde,
Kathechismen, Predigten fuͤr alle Tage im Jahr,
Elohagedichte, und ſind dabey ſehr moraliſch, denn
ſie ſitzen bis am Nabel im Schnee.
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/108>, abgerufen am 25.11.2024.
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