Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

weiß ja, wie es mit solchen Tannen beschaffen
ist! Aus der Tiefe des Thals schießen sie himmel¬
hoch empor, überragen fast die kühnsten Felsen¬
berge -- Aber wie lange dauert diese Herrlichkeit?
Höchstens ein paar lumpige Jahrhunderte, dann
krachen sie altersmüd zusammen und verfaulen
auf dem Boden. Des Nachts kommen dann die
hämischen Käutzlein aus ihren Felsenspalten her¬
vorgehuscht, und verhöhnen sie noch obendrein:
Seht, Ihr starken Tannen, Ihr glaubtet Euch
mit den Bergen messen zu können, jetzt liegt
Ihr gebrochen da unten, und die Berge stehen
noch immer unerschüttert.

Einem Adler, der auf seinem einsamen Lieb¬
lingsfelsen sitzt, und solcher Verhöhnung zuhört,
muß recht mitleidig zu Muthe werden. Er denkt
dann an das eigene Schicksal. Auch er weiß
nicht, wie tief er einst gebettet wird. Aber die
Sterne funkeln so beruhigend, die Waldwasser

weiß ja, wie es mit ſolchen Tannen beſchaffen
iſt! Aus der Tiefe des Thals ſchießen ſie himmel¬
hoch empor, uͤberragen faſt die kuͤhnſten Felſen¬
berge — Aber wie lange dauert dieſe Herrlichkeit?
Hoͤchſtens ein paar lumpige Jahrhunderte, dann
krachen ſie altersmuͤd zuſammen und verfaulen
auf dem Boden. Des Nachts kommen dann die
haͤmiſchen Kaͤutzlein aus ihren Felſenſpalten her¬
vorgehuſcht, und verhoͤhnen ſie noch obendrein:
Seht, Ihr ſtarken Tannen, Ihr glaubtet Euch
mit den Bergen meſſen zu koͤnnen, jetzt liegt
Ihr gebrochen da unten, und die Berge ſtehen
noch immer unerſchuͤttert.

Einem Adler, der auf ſeinem einſamen Lieb¬
lingsfelſen ſitzt, und ſolcher Verhoͤhnung zuhoͤrt,
muß recht mitleidig zu Muthe werden. Er denkt
dann an das eigene Schickſal. Auch er weiß
nicht, wie tief er einſt gebettet wird. Aber die
Sterne funkeln ſo beruhigend, die Waldwaſſer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="42"/>
weiß ja, wie es mit &#x017F;olchen Tannen be&#x017F;chaffen<lb/>
i&#x017F;t! Aus der Tiefe des Thals &#x017F;chießen &#x017F;ie himmel¬<lb/>
hoch empor, u&#x0364;berragen fa&#x017F;t die ku&#x0364;hn&#x017F;ten Fel&#x017F;en¬<lb/>
berge &#x2014; Aber wie lange dauert die&#x017F;e Herrlichkeit?<lb/>
Ho&#x0364;ch&#x017F;tens ein paar lumpige Jahrhunderte, dann<lb/>
krachen &#x017F;ie altersmu&#x0364;d zu&#x017F;ammen und verfaulen<lb/>
auf dem Boden. Des Nachts kommen dann die<lb/>
ha&#x0364;mi&#x017F;chen Ka&#x0364;utzlein aus ihren Fel&#x017F;en&#x017F;palten her¬<lb/>
vorgehu&#x017F;cht, und verho&#x0364;hnen &#x017F;ie noch obendrein:<lb/>
Seht, Ihr &#x017F;tarken Tannen, Ihr glaubtet Euch<lb/>
mit den Bergen me&#x017F;&#x017F;en zu ko&#x0364;nnen, jetzt liegt<lb/>
Ihr gebrochen da unten, und die Berge &#x017F;tehen<lb/>
noch immer uner&#x017F;chu&#x0364;ttert.</p><lb/>
          <p>Einem Adler, der auf &#x017F;einem ein&#x017F;amen Lieb¬<lb/>
lingsfel&#x017F;en &#x017F;itzt, und &#x017F;olcher Verho&#x0364;hnung zuho&#x0364;rt,<lb/>
muß recht mitleidig zu Muthe werden. Er denkt<lb/>
dann an das eigene Schick&#x017F;al. Auch er weiß<lb/>
nicht, wie tief er ein&#x017F;t gebettet wird. Aber die<lb/>
Sterne funkeln &#x017F;o beruhigend, die Waldwa&#x017F;&#x017F;er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0050] weiß ja, wie es mit ſolchen Tannen beſchaffen iſt! Aus der Tiefe des Thals ſchießen ſie himmel¬ hoch empor, uͤberragen faſt die kuͤhnſten Felſen¬ berge — Aber wie lange dauert dieſe Herrlichkeit? Hoͤchſtens ein paar lumpige Jahrhunderte, dann krachen ſie altersmuͤd zuſammen und verfaulen auf dem Boden. Des Nachts kommen dann die haͤmiſchen Kaͤutzlein aus ihren Felſenſpalten her¬ vorgehuſcht, und verhoͤhnen ſie noch obendrein: Seht, Ihr ſtarken Tannen, Ihr glaubtet Euch mit den Bergen meſſen zu koͤnnen, jetzt liegt Ihr gebrochen da unten, und die Berge ſtehen noch immer unerſchuͤttert. Einem Adler, der auf ſeinem einſamen Lieb¬ lingsfelſen ſitzt, und ſolcher Verhoͤhnung zuhoͤrt, muß recht mitleidig zu Muthe werden. Er denkt dann an das eigene Schickſal. Auch er weiß nicht, wie tief er einſt gebettet wird. Aber die Sterne funkeln ſo beruhigend, die Waldwaſſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/50
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/50>, abgerufen am 19.04.2024.