Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

falls besser benutzen können. Statt daß er ihn
den Vater Lajus tödten, und die Mutter Jokaste
heyrathen ließ, hätte er es im Gegentheil so ein¬
richten sollen, daß Oedipus seine Mutter tödtet
und feinen Vater heyrathet. Das dramatische
Drastische in einem solchen Gedichte hätte einem
Platen meisterhaft gelingen müssen, seine eigene
Gefühlsrichtung wäre ihm dabey zu Statten
gekommen, er hätte manchmal, wie eine Nachti¬
gall, nur die Regungen der eignen Brust zu be¬
singen gebraucht, er hätte ein Stück geliefert, das
wenn der gaselige

Iffland noch lebte, gewiß in
Berlin gleich einstudirt worden wäre, und das
man auch jetzt auf Privatbühnen geben würde.
Ich kann mir nichts Vollendeteres denken als
den Schauspieler Wurm in der Rolle eines sol¬
chen Oedipus. Er würde sich selbst übertreffen.
Dann finde ich es auch nicht politisch vom Gra¬
fen, daß er in seinem Lustspiele versichert, er
habe "wirklichen Witz." Oder arbeitet er viel¬

falls beſſer benutzen koͤnnen. Statt daß er ihn
den Vater Lajus toͤdten, und die Mutter Jokaſte
heyrathen ließ, haͤtte er es im Gegentheil ſo ein¬
richten ſollen, daß Oedipus ſeine Mutter toͤdtet
und feinen Vater heyrathet. Das dramatiſche
Draſtiſche in einem ſolchen Gedichte haͤtte einem
Platen meiſterhaft gelingen muͤſſen, ſeine eigene
Gefuͤhlsrichtung waͤre ihm dabey zu Statten
gekommen, er haͤtte manchmal, wie eine Nachti¬
gall, nur die Regungen der eignen Bruſt zu be¬
ſingen gebraucht, er haͤtte ein Stuͤck geliefert, das
wenn der gaſelige

Iffland noch lebte, gewiß in
Berlin gleich einſtudirt worden waͤre, und das
man auch jetzt auf Privatbuͤhnen geben wuͤrde.
Ich kann mir nichts Vollendeteres denken als
den Schauſpieler Wurm in der Rolle eines ſol¬
chen Oedipus. Er wuͤrde ſich ſelbſt uͤbertreffen.
Dann finde ich es auch nicht politiſch vom Gra¬
fen, daß er in ſeinem Luſtſpiele verſichert, er
habe „wirklichen Witz.“ Oder arbeitet er viel¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0412" n="404"/>
falls be&#x017F;&#x017F;er benutzen ko&#x0364;nnen. Statt daß er ihn<lb/>
den Vater Lajus to&#x0364;dten, und die Mutter Joka&#x017F;te<lb/>
heyrathen ließ, ha&#x0364;tte er es im Gegentheil &#x017F;o ein¬<lb/>
richten &#x017F;ollen, daß Oedipus &#x017F;eine Mutter to&#x0364;dtet<lb/>
und feinen Vater heyrathet. Das dramati&#x017F;che<lb/><choice><sic>pDra&#x017F;ti&#x017F;che</sic><corr>Dra&#x017F;ti&#x017F;che</corr></choice> in einem &#x017F;olchen Gedichte ha&#x0364;tte einem<lb/>
Platen mei&#x017F;terhaft gelingen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;eine eigene<lb/>
Gefu&#x0364;hlsrichtung wa&#x0364;re ihm dabey zu Statten<lb/>
gekommen, er ha&#x0364;tte manchmal, wie eine Nachti¬<lb/>
gall, nur die Regungen der eignen Bru&#x017F;t zu be¬<lb/>
&#x017F;ingen gebraucht, er ha&#x0364;tte ein Stu&#x0364;ck geliefert, das<lb/>
wenn der ga&#x017F;elige</p>
          <p>Iffland noch lebte, gewiß in<lb/>
Berlin gleich ein&#x017F;tudirt worden wa&#x0364;re, und das<lb/>
man auch jetzt auf Privatbu&#x0364;hnen geben wu&#x0364;rde.<lb/>
Ich kann mir nichts Vollendeteres denken als<lb/>
den Schau&#x017F;pieler Wurm in der Rolle eines &#x017F;ol¬<lb/>
chen Oedipus. Er wu&#x0364;rde &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;bertreffen.<lb/>
Dann finde ich es auch nicht politi&#x017F;ch vom Gra¬<lb/>
fen, daß er in &#x017F;einem Lu&#x017F;t&#x017F;piele ver&#x017F;ichert, er<lb/>
habe &#x201E;wirklichen Witz.&#x201C; Oder arbeitet er viel¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0412] falls beſſer benutzen koͤnnen. Statt daß er ihn den Vater Lajus toͤdten, und die Mutter Jokaſte heyrathen ließ, haͤtte er es im Gegentheil ſo ein¬ richten ſollen, daß Oedipus ſeine Mutter toͤdtet und feinen Vater heyrathet. Das dramatiſche Draſtiſche in einem ſolchen Gedichte haͤtte einem Platen meiſterhaft gelingen muͤſſen, ſeine eigene Gefuͤhlsrichtung waͤre ihm dabey zu Statten gekommen, er haͤtte manchmal, wie eine Nachti¬ gall, nur die Regungen der eignen Bruſt zu be¬ ſingen gebraucht, er haͤtte ein Stuͤck geliefert, das wenn der gaſelige Iffland noch lebte, gewiß in Berlin gleich einſtudirt worden waͤre, und das man auch jetzt auf Privatbuͤhnen geben wuͤrde. Ich kann mir nichts Vollendeteres denken als den Schauſpieler Wurm in der Rolle eines ſol¬ chen Oedipus. Er wuͤrde ſich ſelbſt uͤbertreffen. Dann finde ich es auch nicht politiſch vom Gra¬ fen, daß er in ſeinem Luſtſpiele verſichert, er habe „wirklichen Witz.“ Oder arbeitet er viel¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/412
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/412>, abgerufen am 25.11.2024.