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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Ach, ich sehe sie wieder, wie sie, aus der
aufgestoßenen Thüre bis zur Mitte des Zimmers
hervorspringt, in demselben Momente sich unzählige
Mal auf einem Fuße herumdreht, sich dann der
Länge nach auf das Sopha hinwirft, sich die Augen
mit beiden Händen verdeckt hält, und athemlos
ausruft: ach, ich bin so müde vom Schlafen!
Nun naht sich der Markese und hält eine lange
Rede, in seiner ironisch breit ehrerbietigen Ma¬
nier, die mit seinem kurzabbrechenden Wesen, bey
praktischen Geschäftserinnerungen, und mit seiner
faden Zerflossenheit, bey sentimentaler Anre¬
gung, gar räthselhaft kontrastirte. Dennoch war
diese Manier nicht unnatürlich, sie hatte sich viel¬
leicht dadurch natürlich in ihm ausgebildet, daß es
ihm an Kühnheit fehlte, jene Obmacht, wozu er sich
durch Geld und Geist berechtigt glaubte, unumwun¬
den kund zu geben, weshalb er sie feigerweise in die
Worte der übertriebensten Demuth zu verkappen
suchte. Sein breites Lächeln bey solchen Gelegenhei¬

Ach, ich ſehe ſie wieder, wie ſie, aus der
aufgeſtoßenen Thuͤre bis zur Mitte des Zimmers
hervorſpringt, in demſelben Momente ſich unzaͤhlige
Mal auf einem Fuße herumdreht, ſich dann der
Laͤnge nach auf das Sopha hinwirft, ſich die Augen
mit beiden Haͤnden verdeckt haͤlt, und athemlos
ausruft: ach, ich bin ſo muͤde vom Schlafen!
Nun naht ſich der Markeſe und haͤlt eine lange
Rede, in ſeiner ironiſch breit ehrerbietigen Ma¬
nier, die mit ſeinem kurzabbrechenden Weſen, bey
praktiſchen Geſchaͤftserinnerungen, und mit ſeiner
faden Zerfloſſenheit, bey ſentimentaler Anre¬
gung, gar raͤthſelhaft kontraſtirte. Dennoch war
dieſe Manier nicht unnatuͤrlich, ſie hatte ſich viel¬
leicht dadurch natuͤrlich in ihm ausgebildet, daß es
ihm an Kuͤhnheit fehlte, jene Obmacht, wozu er ſich
durch Geld und Geiſt berechtigt glaubte, unumwun¬
den kund zu geben, weshalb er ſie feigerweiſe in die
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[270/0278] Ach, ich ſehe ſie wieder, wie ſie, aus der aufgeſtoßenen Thuͤre bis zur Mitte des Zimmers hervorſpringt, in demſelben Momente ſich unzaͤhlige Mal auf einem Fuße herumdreht, ſich dann der Laͤnge nach auf das Sopha hinwirft, ſich die Augen mit beiden Haͤnden verdeckt haͤlt, und athemlos ausruft: ach, ich bin ſo muͤde vom Schlafen! Nun naht ſich der Markeſe und haͤlt eine lange Rede, in ſeiner ironiſch breit ehrerbietigen Ma¬ nier, die mit ſeinem kurzabbrechenden Weſen, bey praktiſchen Geſchaͤftserinnerungen, und mit ſeiner faden Zerfloſſenheit, bey ſentimentaler Anre¬ gung, gar raͤthſelhaft kontraſtirte. Dennoch war dieſe Manier nicht unnatuͤrlich, ſie hatte ſich viel¬ leicht dadurch natuͤrlich in ihm ausgebildet, daß es ihm an Kuͤhnheit fehlte, jene Obmacht, wozu er ſich durch Geld und Geiſt berechtigt glaubte, unumwun¬ den kund zu geben, weshalb er ſie feigerweiſe in die Worte der uͤbertriebenſten Demuth zu verkappen ſuchte. Sein breites Laͤcheln bey ſolchen Gelegenhei¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/278>, abgerufen am 25.11.2024.