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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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versöhnt in die Arme stürzen wollten; so daß ich
armer Mensch, der in der Mitte der Straße
ging, zerquetscht zu werden fürchtete. Manche
werden diese Furcht lächerlich finden, und auch
ich lächelte darüber, als ich, nüchternen Blicks,
den andern Morgen durch eben jene Straßen
wanderte, und sich die Häuser wieder so prosaisch
entgegen gähnten. Es sind wahrlich mehrere
Flaschen Poesie dazu nöthig, wenn man in Ber¬
lin etwas anderes sehen will als todte Häuser
und Berliner. Hier ist es schwer, Geister zu
sehen. Die Stadt enthält so wenig Alter¬
thümlichkeit, und ist so neu; und doch ist
dieses Neue schon so alt, so welk und
abgestorben. Denn sie ist gröstentheils, wie
gesagt, nicht aus der Gesinnung der Masse, son¬
dern Einzelner entstanden. Der große Fritz
ist wohl unter diesen wenigen der vorzüglichste,
was er vorfand, war nur feste Unterlage, erst
von ihm erhielt die Stadt ihren eigentlichen

verſoͤhnt in die Arme ſtuͤrzen wollten; ſo daß ich
armer Menſch, der in der Mitte der Straße
ging, zerquetſcht zu werden fuͤrchtete. Manche
werden dieſe Furcht laͤcherlich finden, und auch
ich laͤchelte daruͤber, als ich, nuͤchternen Blicks,
den andern Morgen durch eben jene Straßen
wanderte, und ſich die Haͤuſer wieder ſo proſaiſch
entgegen gaͤhnten. Es ſind wahrlich mehrere
Flaſchen Poeſie dazu noͤthig, wenn man in Ber¬
lin etwas anderes ſehen will als todte Haͤuſer
und Berliner. Hier iſt es ſchwer, Geiſter zu
ſehen. Die Stadt enthaͤlt ſo wenig Alter¬
thuͤmlichkeit, und iſt ſo neu; und doch iſt
dieſes Neue ſchon ſo alt, ſo welk und
abgeſtorben. Denn ſie iſt groͤſtentheils, wie
geſagt, nicht aus der Geſinnung der Maſſe, ſon¬
dern Einzelner entſtanden. Der große Fritz
iſt wohl unter dieſen wenigen der vorzuͤglichſte,
was er vorfand, war nur feſte Unterlage, erſt
von ihm erhielt die Stadt ihren eigentlichen

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[13/0021] verſoͤhnt in die Arme ſtuͤrzen wollten; ſo daß ich armer Menſch, der in der Mitte der Straße ging, zerquetſcht zu werden fuͤrchtete. Manche werden dieſe Furcht laͤcherlich finden, und auch ich laͤchelte daruͤber, als ich, nuͤchternen Blicks, den andern Morgen durch eben jene Straßen wanderte, und ſich die Haͤuſer wieder ſo proſaiſch entgegen gaͤhnten. Es ſind wahrlich mehrere Flaſchen Poeſie dazu noͤthig, wenn man in Ber¬ lin etwas anderes ſehen will als todte Haͤuſer und Berliner. Hier iſt es ſchwer, Geiſter zu ſehen. Die Staͤdt enthaͤlt ſo wenig Alter¬ thuͤmlichkeit, und iſt ſo neu; und doch iſt dieſes Neue ſchon ſo alt, ſo welk und abgeſtorben. Denn ſie iſt groͤſtentheils, wie geſagt, nicht aus der Geſinnung der Maſſe, ſon¬ dern Einzelner entſtanden. Der große Fritz iſt wohl unter dieſen wenigen der vorzuͤglichſte, was er vorfand, war nur feſte Unterlage, erſt von ihm erhielt die Stadt ihren eigentlichen

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/21>, abgerufen am 29.03.2024.