Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war
es wieder recht angenehm; in langen Reihen
saßen da Tulpen von allen Farben und bewegten
andächtig die Köpfe. Im Beichtstuhl saß ein
schwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine
Blume, deren Gesicht nicht zum Vorschein kam.
Doch sie duftete so wohlbekannt schauerlich, daß
ich seltsamerweise wieder an die Nachtviole dachte,
die im Zimmer stand, wo die todte Maria lag.

Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬
nete mir ein Leichenzug von lauter Rosen mit
schwarzen Flören und weißen Taschentüchern, und
ach! auf der Bahre lag die frühzerrissene Rose,
die ich am Busen der kleinen Harfenistin kennen
gelernt. Sie sah jetzt noch viel anmuthiger aus,
aber ganz kreideblaß, eine weiße Rosenleiche.
Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬
dergesetzt; da gab es nichts als Weinen und
Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatschrose

Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war
es wieder recht angenehm; in langen Reihen
ſaßen da Tulpen von allen Farben und bewegten
andaͤchtig die Koͤpfe. Im Beichtſtuhl ſaß ein
ſchwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine
Blume, deren Geſicht nicht zum Vorſchein kam.
Doch ſie duftete ſo wohlbekannt ſchauerlich, daß
ich ſeltſamerweiſe wieder an die Nachtviole dachte,
die im Zimmer ſtand, wo die todte Maria lag.

Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬
nete mir ein Leichenzug von lauter Roſen mit
ſchwarzen Floͤren und weißen Taſchentuͤchern, und
ach! auf der Bahre lag die fruͤhzerriſſene Roſe,
die ich am Buſen der kleinen Harfeniſtin kennen
gelernt. Sie ſah jetzt noch viel anmuthiger aus,
aber ganz kreideblaß, eine weiße Roſenleiche.
Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬
dergeſetzt; da gab es nichts als Weinen und
Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatſchroſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0131" n="123"/>
Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war<lb/>
es wieder recht angenehm; in langen Reihen<lb/>
&#x017F;aßen da Tulpen von allen Farben und bewegten<lb/>
anda&#x0364;chtig die Ko&#x0364;pfe. Im Beicht&#x017F;tuhl &#x017F;aß ein<lb/>
&#x017F;chwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine<lb/>
Blume, deren Ge&#x017F;icht nicht zum Vor&#x017F;chein kam.<lb/>
Doch &#x017F;ie duftete &#x017F;o wohlbekannt &#x017F;chauerlich, daß<lb/>
ich &#x017F;elt&#x017F;amerwei&#x017F;e wieder an die Nachtviole dachte,<lb/>
die im Zimmer &#x017F;tand, wo die todte Maria lag.</p><lb/>
          <p>Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬<lb/>
nete mir ein Leichenzug von lauter Ro&#x017F;en mit<lb/>
&#x017F;chwarzen Flo&#x0364;ren und weißen Ta&#x017F;chentu&#x0364;chern, und<lb/>
ach! auf der Bahre lag die fru&#x0364;hzerri&#x017F;&#x017F;ene Ro&#x017F;e,<lb/>
die ich am Bu&#x017F;en der kleinen Harfeni&#x017F;tin kennen<lb/>
gelernt. Sie &#x017F;ah jetzt noch viel anmuthiger aus,<lb/>
aber ganz kreideblaß, eine weiße Ro&#x017F;enleiche.<lb/>
Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬<lb/>
derge&#x017F;etzt; da gab es nichts als Weinen und<lb/>
Schluchzen, und endlich trat eine alte Klat&#x017F;chro&#x017F;e<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0131] Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war es wieder recht angenehm; in langen Reihen ſaßen da Tulpen von allen Farben und bewegten andaͤchtig die Koͤpfe. Im Beichtſtuhl ſaß ein ſchwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine Blume, deren Geſicht nicht zum Vorſchein kam. Doch ſie duftete ſo wohlbekannt ſchauerlich, daß ich ſeltſamerweiſe wieder an die Nachtviole dachte, die im Zimmer ſtand, wo die todte Maria lag. Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬ nete mir ein Leichenzug von lauter Roſen mit ſchwarzen Floͤren und weißen Taſchentuͤchern, und ach! auf der Bahre lag die fruͤhzerriſſene Roſe, die ich am Buſen der kleinen Harfeniſtin kennen gelernt. Sie ſah jetzt noch viel anmuthiger aus, aber ganz kreideblaß, eine weiße Roſenleiche. Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬ dergeſetzt; da gab es nichts als Weinen und Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatſchroſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/131
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/131>, abgerufen am 28.04.2024.