Musik zu lieben und durch die Liebe zu verstehn, muß man das Volk selbst vor Augen haben, seinen Himmel, seinen Charakter, seine Mienen, seine Leiden, seine Freuden, kurz seine ganze Geschichte, von Romulus, der das heilige römische Reich gestiftet, bis auf die neueste Zeit, wo es zu Grunde ging, unter Romulus Augustulus II. Dem armen geknechteten Italien ist ja das Sprechen verboten, und es darf nur durch Musik die Gefühle seines Herzens kund geben. All sein Groll gegen fremde Herrschaft, seine Begeistrung für die Freyheit, sein Wahnsinn über das Gefühl der Ohnmacht, seine Wehmuth bey der Erinne¬ rung an vergangene Herrlichkeit, dabey sein leises Hoffen, sein Lauschen, sein Lechzen nach Hülfe, alles dieses verkappt sich in jene Melodien, die von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegischer Weichheit herabgleiten, und in jene Pantominen, die von schmeichelnden Caressen zu drohendem Ingrimm überschnappen.
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Muſik zu lieben und durch die Liebe zu verſtehn, muß man das Volk ſelbſt vor Augen haben, ſeinen Himmel, ſeinen Charakter, ſeine Mienen, ſeine Leiden, ſeine Freuden, kurz ſeine ganze Geſchichte, von Romulus, der das heilige roͤmiſche Reich geſtiftet, bis auf die neueſte Zeit, wo es zu Grunde ging, unter Romulus Auguſtulus II. Dem armen geknechteten Italien iſt ja das Sprechen verboten, und es darf nur durch Muſik die Gefuͤhle ſeines Herzens kund geben. All ſein Groll gegen fremde Herrſchaft, ſeine Begeiſtrung fuͤr die Freyheit, ſein Wahnſinn uͤber das Gefuͤhl der Ohnmacht, ſeine Wehmuth bey der Erinne¬ rung an vergangene Herrlichkeit, dabey ſein leiſes Hoffen, ſein Lauſchen, ſein Lechzen nach Huͤlfe, alles dieſes verkappt ſich in jene Melodien, die von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegiſcher Weichheit herabgleiten, und in jene Pantominen, die von ſchmeichelnden Careſſen zu drohendem Ingrimm uͤberſchnappen.
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Muſik zu lieben und durch die Liebe zu verſtehn,
muß man das Volk ſelbſt vor Augen haben,
ſeinen Himmel, ſeinen Charakter, ſeine Mienen,
ſeine Leiden, ſeine Freuden, kurz ſeine ganze
Geſchichte, von Romulus, der das heilige roͤmiſche
Reich geſtiftet, bis auf die neueſte Zeit, wo es
zu Grunde ging, unter Romulus Auguſtulus II.
Dem armen geknechteten Italien iſt ja das
Sprechen verboten, und es darf nur durch Muſik
die Gefuͤhle ſeines Herzens kund geben. All ſein
Groll gegen fremde Herrſchaft, ſeine Begeiſtrung
fuͤr die Freyheit, ſein Wahnſinn uͤber das Gefuͤhl
der Ohnmacht, ſeine Wehmuth bey der Erinne¬
rung an vergangene Herrlichkeit, dabey ſein leiſes
Hoffen, ſein Lauſchen, ſein Lechzen nach Huͤlfe,
alles dieſes verkappt ſich in jene Melodien, die
von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegiſcher
Weichheit herabgleiten, und in jene Pantominen,
die von ſchmeichelnden Careſſen zu drohendem
Ingrimm uͤberſchnappen.
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/123>, abgerufen am 24.11.2024.
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