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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Wegen meines gebrochenen Italienischsprechens
hielt sie mich im Anfang für einen Engländer;
aber ich gestand ihr, daß ich nur ein Deutscher
sey. Sie machte sogleich viele geographische,
ökonomische, hortologische, klimatische Fragen über
Deutschland, und wunderte sich, als ich ihr
ebenfalls gestand, daß bei uns keine Citronen
wachsen, daß wir die wenigen Citronen, die wir
aus Italien bekommen, sehr pressen müssen,
wenn wir Punsch machen, und daß wir dann
aus Verzweiflung desto mehr Rum zugießen. Ach
liebe Frau! sagte ich ihr, in unserem Lande ist es
sehr frostig und feucht, unser Sommer ist nur ein
grünangestrichener Winter, sogar die Sonne muß
bey uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn sie
sich nicht erkälten will; bei diesem gelben Flanell¬
sonnenschein können unsere Früchte nimmermehr
gedeihen, sie sehen verdrießlich und grün aus,
und unter uns gesagt, das einzige reife Obst,
das wir haben, sind gebratene Aepfel. Was die

Wegen meines gebrochenen Italieniſchſprechens
hielt ſie mich im Anfang fuͤr einen Englaͤnder;
aber ich geſtand ihr, daß ich nur ein Deutſcher
ſey. Sie machte ſogleich viele geographiſche,
oͤkonomiſche, hortologiſche, klimatiſche Fragen uͤber
Deutſchland, und wunderte ſich, als ich ihr
ebenfalls geſtand, daß bei uns keine Citronen
wachſen, daß wir die wenigen Citronen, die wir
aus Italien bekommen, ſehr preſſen muͤſſen,
wenn wir Punſch machen, und daß wir dann
aus Verzweiflung deſto mehr Rum zugießen. Ach
liebe Frau! ſagte ich ihr, in unſerem Lande iſt es
ſehr froſtig und feucht, unſer Sommer iſt nur ein
gruͤnangeſtrichener Winter, ſogar die Sonne muß
bey uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn ſie
ſich nicht erkaͤlten will; bei dieſem gelben Flanell¬
ſonnenſchein koͤnnen unſere Fruͤchte nimmermehr
gedeihen, ſie ſehen verdrießlich und gruͤn aus,
und unter uns geſagt, das einzige reife Obſt,
das wir haben, ſind gebratene Aepfel. Was die

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[100/0108] Wegen meines gebrochenen Italieniſchſprechens hielt ſie mich im Anfang fuͤr einen Englaͤnder; aber ich geſtand ihr, daß ich nur ein Deutſcher ſey. Sie machte ſogleich viele geographiſche, oͤkonomiſche, hortologiſche, klimatiſche Fragen uͤber Deutſchland, und wunderte ſich, als ich ihr ebenfalls geſtand, daß bei uns keine Citronen wachſen, daß wir die wenigen Citronen, die wir aus Italien bekommen, ſehr preſſen muͤſſen, wenn wir Punſch machen, und daß wir dann aus Verzweiflung deſto mehr Rum zugießen. Ach liebe Frau! ſagte ich ihr, in unſerem Lande iſt es ſehr froſtig und feucht, unſer Sommer iſt nur ein gruͤnangeſtrichener Winter, ſogar die Sonne muß bey uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn ſie ſich nicht erkaͤlten will; bei dieſem gelben Flanell¬ ſonnenſchein koͤnnen unſere Fruͤchte nimmermehr gedeihen, ſie ſehen verdrießlich und gruͤn aus, und unter uns geſagt, das einzige reife Obſt, das wir haben, ſind gebratene Aepfel. Was die

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/108>, abgerufen am 28.04.2024.