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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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weißen Finger war mir so befremdlich wohl¬
bekannt, und alle Traumgewalt meiner Seele
kam in Bewegung, um ein Gesicht zu bilden,
das zu dieser Hand gehören konnte. Es war
eine schöne Hand, und nicht wie man sie bei
jungen Mädchen findet, die halb Lamm, halb
Rose, nur gedankenlose, vegetabil animalische
Hände haben, sie hatte vielmehr so etwas Gei¬
stiges, so etwas geschichtlich Reizendes, wie die
Hände von schönen Menschen, die sehr gebildet sind
oder viel gelitten haben. Diese Hand hatte dabei
auch so etwas rührend Unschuldiges, daß es schien,
als ob sie nicht mitzubeichten brauche, und auch nicht
hören wolle was ihre Eigenthümerin beichtete,
und gleichsam draußen warte, bis diese fertig
sey. Das dauerte aber lange; die Dame mußte
viele Sünden zu erzählen haben. Ich konnte
nicht länger warten, meine Seele drückte einen
unsichtbaren Abschiedskuß auf die schöne Hand,
diese zuckte in demselben Momente, und zwar so

weißen Finger war mir ſo befremdlich wohl¬
bekannt, und alle Traumgewalt meiner Seele
kam in Bewegung, um ein Geſicht zu bilden,
das zu dieſer Hand gehoͤren konnte. Es war
eine ſchoͤne Hand, und nicht wie man ſie bei
jungen Maͤdchen findet, die halb Lamm, halb
Roſe, nur gedankenloſe, vegetabil animaliſche
Haͤnde haben, ſie hatte vielmehr ſo etwas Gei¬
ſtiges, ſo etwas geſchichtlich Reizendes, wie die
Haͤnde von ſchoͤnen Menſchen, die ſehr gebildet ſind
oder viel gelitten haben. Dieſe Hand hatte dabei
auch ſo etwas ruͤhrend Unſchuldiges, daß es ſchien,
als ob ſie nicht mitzubeichten brauche, und auch nicht
hoͤren wolle was ihre Eigenthuͤmerin beichtete,
und gleichſam draußen warte, bis dieſe fertig
ſey. Das dauerte aber lange; die Dame mußte
viele Suͤnden zu erzaͤhlen haben. Ich konnte
nicht laͤnger warten, meine Seele druͤckte einen
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dieſe zuckte in demſelben Momente, und zwar ſo

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[95/0103] weißen Finger war mir ſo befremdlich wohl¬ bekannt, und alle Traumgewalt meiner Seele kam in Bewegung, um ein Geſicht zu bilden, das zu dieſer Hand gehoͤren konnte. Es war eine ſchoͤne Hand, und nicht wie man ſie bei jungen Maͤdchen findet, die halb Lamm, halb Roſe, nur gedankenloſe, vegetabil animaliſche Haͤnde haben, ſie hatte vielmehr ſo etwas Gei¬ ſtiges, ſo etwas geſchichtlich Reizendes, wie die Haͤnde von ſchoͤnen Menſchen, die ſehr gebildet ſind oder viel gelitten haben. Dieſe Hand hatte dabei auch ſo etwas ruͤhrend Unſchuldiges, daß es ſchien, als ob ſie nicht mitzubeichten brauche, und auch nicht hoͤren wolle was ihre Eigenthuͤmerin beichtete, und gleichſam draußen warte, bis dieſe fertig ſey. Das dauerte aber lange; die Dame mußte viele Suͤnden zu erzaͤhlen haben. Ich konnte nicht laͤnger warten, meine Seele druͤckte einen unſichtbaren Abſchiedskuß auf die ſchoͤne Hand, dieſe zuckte in demſelben Momente, und zwar ſo

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/103>, abgerufen am 28.04.2024.