Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

durchaus nicht auf Rügen residiren, und versetzte
sie vielmehr nach einer ostfriesischen Insel. Ein
junger Gelehrter hat gern seine Privathypothese.
Aber auf keinen Fall hätte ich damals geglaubt,
daß ich einst am Strande der Nordsee wandeln
würde, ohne an die alte Göttin mit patriotischer
Begeisterung zu denken. Es ist wirklich nicht
der Fall, und ich denke hier an ganz andre,
jüngere Göttinnen. Absonderlich wenn ich am
Strande über die schaurige Stelle wandle, wo
noch jüngst die schönsten Frauen, gleich Nixen,
geschwommen. Denn weder Herren noch Damen
baden hier unter einem Schirm, sondern spatzieren
in die freye See. Deshalb sind auch die Bade¬
stellen beider Geschlechter von einander geschieden,
doch nicht allzuweit, und wer ein gutes Glas
führt, kann überall in der Welt viel sehen. Es
geht die Sage, ein neuer Actäon habe auf solche
Weise eine badende Diana erblickt, und wunder¬
bar! nicht er, sondern der Gemahl der Schönen,
habe dadurch Hörner erworben.

6

durchaus nicht auf Ruͤgen reſidiren, und verſetzte
ſie vielmehr nach einer oſtfrieſiſchen Inſel. Ein
junger Gelehrter hat gern ſeine Privathypotheſe.
Aber auf keinen Fall haͤtte ich damals geglaubt,
daß ich einſt am Strande der Nordſee wandeln
wuͤrde, ohne an die alte Goͤttin mit patriotiſcher
Begeiſterung zu denken. Es iſt wirklich nicht
der Fall, und ich denke hier an ganz andre,
juͤngere Goͤttinnen. Abſonderlich wenn ich am
Strande uͤber die ſchaurige Stelle wandle, wo
noch juͤngſt die ſchoͤnſten Frauen, gleich Nixen,
geſchwommen. Denn weder Herren noch Damen
baden hier unter einem Schirm, ſondern ſpatzieren
in die freye See. Deshalb ſind auch die Bade¬
ſtellen beider Geſchlechter von einander geſchieden,
doch nicht allzuweit, und wer ein gutes Glas
fuͤhrt, kann uͤberall in der Welt viel ſehen. Es
geht die Sage, ein neuer Actaͤon habe auf ſolche
Weiſe eine badende Diana erblickt, und wunder¬
bar! nicht er, ſondern der Gemahl der Schoͤnen,
habe dadurch Hoͤrner erworben.

6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0089" n="81"/>
durchaus nicht auf Ru&#x0364;gen re&#x017F;idiren, und ver&#x017F;etzte<lb/>
&#x017F;ie vielmehr nach einer o&#x017F;tfrie&#x017F;i&#x017F;chen In&#x017F;el. Ein<lb/>
junger Gelehrter hat gern &#x017F;eine Privathypothe&#x017F;e.<lb/>
Aber auf keinen Fall ha&#x0364;tte ich damals geglaubt,<lb/>
daß ich ein&#x017F;t am Strande der Nord&#x017F;ee wandeln<lb/>
wu&#x0364;rde, ohne an die alte Go&#x0364;ttin mit patrioti&#x017F;cher<lb/>
Begei&#x017F;terung zu denken. Es i&#x017F;t wirklich nicht<lb/>
der Fall, und ich denke hier an ganz andre,<lb/>
ju&#x0364;ngere Go&#x0364;ttinnen. Ab&#x017F;onderlich wenn ich am<lb/>
Strande u&#x0364;ber die &#x017F;chaurige Stelle wandle, wo<lb/>
noch ju&#x0364;ng&#x017F;t die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Frauen, gleich Nixen,<lb/>
ge&#x017F;chwommen. Denn weder Herren noch Damen<lb/>
baden hier unter einem Schirm, &#x017F;ondern &#x017F;patzieren<lb/>
in die freye See. Deshalb &#x017F;ind auch die Bade¬<lb/>
&#x017F;tellen beider Ge&#x017F;chlechter von einander ge&#x017F;chieden,<lb/>
doch nicht allzuweit, und wer ein gutes Glas<lb/>
fu&#x0364;hrt, kann u&#x0364;berall in der Welt viel &#x017F;ehen. Es<lb/>
geht die Sage, ein neuer Acta&#x0364;on habe auf &#x017F;olche<lb/>
Wei&#x017F;e eine badende Diana erblickt, und wunder¬<lb/>
bar! nicht er, &#x017F;ondern der Gemahl der Scho&#x0364;nen,<lb/>
habe dadurch Ho&#x0364;rner erworben.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">6<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0089] durchaus nicht auf Ruͤgen reſidiren, und verſetzte ſie vielmehr nach einer oſtfrieſiſchen Inſel. Ein junger Gelehrter hat gern ſeine Privathypotheſe. Aber auf keinen Fall haͤtte ich damals geglaubt, daß ich einſt am Strande der Nordſee wandeln wuͤrde, ohne an die alte Goͤttin mit patriotiſcher Begeiſterung zu denken. Es iſt wirklich nicht der Fall, und ich denke hier an ganz andre, juͤngere Goͤttinnen. Abſonderlich wenn ich am Strande uͤber die ſchaurige Stelle wandle, wo noch juͤngſt die ſchoͤnſten Frauen, gleich Nixen, geſchwommen. Denn weder Herren noch Damen baden hier unter einem Schirm, ſondern ſpatzieren in die freye See. Deshalb ſind auch die Bade¬ ſtellen beider Geſchlechter von einander geſchieden, doch nicht allzuweit, und wer ein gutes Glas fuͤhrt, kann uͤberall in der Welt viel ſehen. Es geht die Sage, ein neuer Actaͤon habe auf ſolche Weiſe eine badende Diana erblickt, und wunder¬ bar! nicht er, ſondern der Gemahl der Schoͤnen, habe dadurch Hoͤrner erworben. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/89
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/89>, abgerufen am 25.11.2024.